7 Fragen in 7 Minuten #14 – Arthur Seidel
Arthur Seidel, Community Manager, Fraport
Diversität – ein viel benutztes Wort, das doch im seltensten Fall wirklich zutreffend ist. Anders bei Arthur Seidel, der als Community Manager von Fraport einen Teil der Personalentwicklung des Flughafen Frankfurts – Deutschlands größter Arbeitsstätte – verantwortet. Unter den Mitarbeitenden finden sich nicht nur alle möglichen Nationen, auch die Tätigkeitsbereiche und Hierarchieebenen sind extrem heterogen: Von der Gepäckabfertigung bis hin zum Top Management ist alles vertreten. Ein ziemlicher Spagat, gerade wenn es um Themen wie Wissensvermittlung, Future Skills und die Bindung von Mitarbeitenden geht. Arthur hat dabei innovative Ansätze entwickelt, die sich in der Praxis bewährt haben, weswegen er bei der DGFP // Jahrestagung Personalentwicklung 2023 vom 14.-17. November als Speaker eingeladen ist. Im 7 Fragen in 7 Minuten Interview vorab gibt er u.a. Einblicke, wie die Personalentwicklung am Flughafen gelingt, wie er mit Unwilligen umgeht und natürlich verraten wir zum Schluss auch, was sonst fast niemand über ihn weiß.
1. Lieber Arthur, der Flughafen Frankfurt ist ein wahrer Schmelztiegel – nicht nur in Bezug auf Nationalitäten, sondern auch hinsichtlich der Tätigkeitsprofile und Hierarchien – Stichwort Blue vs. White Collar. Wie funktioniert Personalentwicklung bei einer derart diversen Belegschaft?
Arthur Seidel: Wir sind wirklich ein bunter Haufen, das stimmt (lacht). Tatsächlich hat mir bei meiner Arbeit ein Perspektivenwechsel geholfen: Wir haben uns von dem Glaubenssatz verabschiedet, immer genau zu wissen, was unsere Mitarbeitenden brauchen um bessere Mitarbeitende zu werden, noch produktiver und unseren Erwartungen entsprechend. Klar bieten wir auch heute und in Zukunft die für die Tätigkeiten der Einzelnen wichtigen Skills, das Handwerkszeug, natürlich auch zukunftsgewandt und die neuesten Erkenntnisse und Möglichkeiten beinhaltend. Gleichzeitig laden wir auch alle ein, sich gemäß der eigenen Interessen und Bedürfnisse weiterzuentwickeln, also weg von der reinen Personalentwicklung hin zu einer persönlichen Entwicklung. Meine Erfahrung zeigt, dass der Großteil der Menschen sich kontinuierlich weiterentwickeln, lebenslang Lernen möchte – aber selbstbestimmt, im eigenen Tempo und entsprechend der individuellen Bedürfnisse, die je nach Lebensphase während eines Berufslebens sehr unterschiedlich sein können. Um dies zu ermöglichen, haben wir verschiedene Ansätze entwickelt wie z.B. LIF (Lernen in der Freizeit), die DigiTalks und Fraports Zukunftswerkstatt, in der sich mittlerweile fast 700 Mitarbeitende in 25 Communities themenbezogen begegnen, austauschen, voneinander Lernen und gemeinsam Lösungsansätze entwickeln.
2. Über solche Communities wird im Bereich HR immer mal wieder gesprochen, doch ist es oftmals unklar, was genau sie für das Unternehmen bewirken. Kannst du uns ein Beispiel aus der Praxis geben?
Arthur Seidel: Ich beantworte diese Frage, die mir häufig gestellt wird, mit einem Beispiel aus unserer Zukunftswerkstatt.
Ein Top Executive aus dem IT-Bereich sprach mich einst an und fragte, ob wir nicht das Thema 3D-Druck aufgreifen könnten. Ich war skeptisch, da ich mit 3D-Druck im Fraport-Kontext nichts anfangen konnte, aber ich lud ein. An einem Freitagnachmittag um 15 Uhr kamen dann doch erstaunlicherweise 12 Personen aus sechs verschiedenen Geschäftsbereichen zusammen, der jüngste ein Azubi Anfang 20, einige Experten, Interessierte und zwei Leitende Angestellte. Im Verlauf des Termins, der ohne Moderation auskam und von dem jungen Azubi kraft seines fundierten Wissens und seiner Leidenschaft für das Thema gesteuert wurde, kam heraus, dass mehrere Bereiche ihre Ersatzteile drucken. Ein Bereich beauftragte externe Dienstleister damit, der andere Bereich hatte gerade einen großen Industrie-Drucker bestellt. Die beiden Bereiche wussten im Vorfeld nicht von der ähnlichen Ausgangslage und den vorhandenen Synergien, was sich mit diesem Treffen änderte. Heute nutzen beide Bereiche die vorhandenen Ressourcen des 3D-Druckers gemeinsam. Und als wenn das noch nicht genug wäre, klagte der Leiter der Ausbildungswerkstatt in dem Termin, dass er seit Jahren einen 3D-Drucker für die Ausbildung seiner technischen Azubis beantragt hatte, dies aber aus Budgetgründen immer abgelehnt wurde. Einer der beiden Top Executives sagte zu, sich darum zu kümmern und vier Wochen später hatte die Ausbildungswerkstatt einen 3D-Drucker.
Jetzt frage ich zurück: wer hätte jemals einen Termin mit dieser „bunten Mischung“ an Teilnehmenden organisiert, mit dieser Zielsetzung, an einem Freitagnachmittag um 15:00Uhr?
Genau, niemand! Weil niemand die Bedürfnisse in diesen verschiedenen Bereichen im Vorfeld kannte weil sich niemand getraut hätte, diese grundlegend unterschiedlichen Menschen zusammenzubringen, ohne ein klares, vordefiniertes Ziel!
Für mich ist das ein Paradebeispiel für Serendipität, dem Erzeugen von (scheinbar) glücklichen Zufällen, die aber bei genauerer Betrachtung gar nicht so zufällig sind, sondern „provoziert“ werden können.
3. Erlaube mir an dieser Stelle eine ketzerische Zwischenfrage: Euer interessensbasierter Ansatz in der Personalentwicklung geht ja von einem sehr positiven Menschenbild aus, was auch gut ist. Dennoch gibt es bei euch sicherlich auch „Querschläger“, „Verweigerer“ und „Unwillige“, die sich von solchen Angeboten nicht überzeugen lassen.
Arthur Seidel: Auf jeden Fall (lacht.). Klar: Wir haben die Zukunftswerkstatt und unsere Digi Talks. Damit gehen wir auch vielen auf die Nerven. Am Ende können wir nur mit denen arbeiten, die etwas verändern wollen. Ich habe gelernt das zu akzeptieren. Mein Ziel besteht nicht mehr (!) darin, alle Menschen zu „bekehren“, sondern die Menschen aus den unterschiedlichsten Bereichen und Kontexten zusammenzubringen, die neugierig sind, die die eigene Zukunft in die Hand nehmen und gestalten wollen. Diese Menschen möchte ich vernetzen und ihnen dadurch die Möglichkeit geben, voneinander zu lernen, sich gegenseitig zu inspirieren und Fraport, im eigenen Wirkbereich, zu gestalten, ein kleines bisschen besser zu machen. Diese Menschen zu erreichen ist relativ einfach, interessant ist die Gruppe der Veränderungswilligen, die sich nicht trauen, die vielleicht nicht wissen wie sie ihr gestalterisches Potenzial nutzen können oder es evtl. sogar „nicht dürfen“
Das ist die Gruppe, die am meisten Potenzial beinhaltet und hier macht mir die Arbeit am meisten Spaß, denn hier kann man in kürzester Zeit Erfolge beobachten, die unglaublich sind. Es ist wahnsinnig interessant und einfach schön zu beobachten, wie Menschen aufblühen, wenn man sie und ihre Kompetenzen ernst nimmt, wertschätzt, ihnen die Möglichkeit einräumt, mitzugestalten und selbstwirksam zu werden, wenn man ihnen zuhört. Und wenn sich alle Veränderungswilligen zusammentun, entsteht eine kritische Masse an positiven Impulsen in ein Unternehmen hinein, die die Unternehmenskultur positiv formen und verändern.
4. Ein Bestandteil dieser Kultur bildet das HALTEN-Konzept – was genau verbirgt sich hinter diesem Akronym?
Arthur Seidel: Das ist unser Fundament in der Personalentwicklung und steht für: Hören, Austauschen, Lernen, Teilen, Experimentieren und Nachdenken. Das leben wir vor und dazu möchten wir andere inspirieren. Dadurch entsteht auch eine Bindung der Mitarbeitenden zum Unternehmen, wobei das auch immer relativ ist. Uns geht es nicht darum, **Menschen nur in der Organisation weiterzuentwickeln und auf Biegen und Brechen zu halten. Eine wichtige Triebfeder für die Weiterentwicklung eines Unternehmens besteht nach meiner Ansicht in der Bewegung von Mitarbeitenden, innerhalb des Systems, aber auch der Austausch mit „der Außenwelt“ ist wichtig, Dadurch erhalten wir neue Impulse und frische Ideen , die uns weiterbringen. Wir haben noch immer eine recht hohe Altersstruktur und Betriebszugehörigkeit. Aber auch daran arbeiten wir und versuchen kontinuierlich besser und für junge Menschen attraktiv zu werden.
HALTEN als Konzept ist ein guter Ansatz, bedeutet aber nicht halten um jeden Preis (lacht).
5. Wie gestaltet sich in diesem Zusammenhang das Thema Wissensvermittlung?
Arthur Seidel: Prinzipiell können hier zwei Modi unterschieden werden. Für Abteilungen mit relativ homogenen Tätigkeitsprofilen haben wir standardisierte Prozesse. Wissen wird hier über Trainings, Schulungen und Qualifikationsmaßnahmen vermittelt. Hier arbeiten wir mit bewährten Partnern und erprobten Formaten.
Spannend wird es bei den „Future Skills“ wie z.B. der Datenkompetenz. Hier entwickeln wir neue Ansätze wie z.B. das „interdisziplinäre“ Data Literacy Programm, das von der IT-Abteilung, der Unternehmensstrategie und der Personalabteilung gemeinsam erarbeitet und vorangetrieben wird. Hier schulen wir Mitarbeitende aus den verschiedensten Unternehmenskontexten gemeinsam in Data Analytics Funktionsrollen wie BI-Analyst, Data Analysts undData Scientists. Was das für die Unternehmenskultur hinsichtlich Transparenz, Abbau von Silodenken und einem ganzheitlichen Prozessverständnis bedeutet kann man sich gut vorstellen. Doch auch Führung muss neu gedacht werden: die Zeiten, in der die Führungskraft den Mitarbeitenden „die Welt erklärt“ und Micro-Managing betrieben hat sind, zumindest in diesen Bereichen, passé. Heute sitzt ein 25jähriger Data Scientist dem Top Executive gegenüber und erläutert, wie „das Geschäft läuft“. Da sind auf einmal Werte wie Vertrauen, Akzeptanz und Kommunikation auf Augenhöhe gefragt, die Rolle der Führungskraft wandelt sich vermehrt von einer veralteten elitären Position zu der eines Enablers, eines strategischen Kompasses, eines Motivators. Doch auch Führungskräfte müssen sich neue Skills aneignen, um Anschlussfähig zu bleiben. Sonst werden auch zukünftig noch Menschen Screenshots von Dashboards ausdrucken, um in Meetings sprachfähig zu sein.
6. Weg vom Beruflichen, hin zu Ihnen: Wenn Sie dem zehnjährigen Arthur Seidel begegnen würden: Wir würden sie ihren Job erklären, und wäre der kleine Arthur stolz auf sie?
Arthur Seidel: Ich würde ihm sagen, dass er, auch wenn er mit 17 Jahren aus Trotz die Schule abbrechen wird, das nicht das Ende der beruflichen Laufbahn sondern der Anfang eines mühevollen, aber spannenden Weges ist, der 40 Jahren später dazu führen wird, dass er „ankommt“ und das machen kann, was er liebt. In einem Umfeld, das superspannend ist, in dem er tagtäglich mit inspirierenden und tollen Menschen zu tun hat, in dem er in Menschen den Wunsch nach Veränderung, nach persönlicher Weiterentwicklung weckt und ihnen dabei hilft, die beste Version ihres ICHS zu werden. Eine Arbeit, bei der man die Ergebnisse live sehen kann, die sinnvoll ist und die einen mit großer Freude erfüllt. Und ja, er wäre stolz, ohne jedoch genau zu verstehen, was der grauhaarige Mann da so erzählt! (lacht)
7. Zu guter Letzt noch die Frage aller Fragen: Was weiß (fast) niemand über dich?
Arthur Seidel: Obwohl viele wahrscheinlich denken, dass ich gerne vor Menschen auftrete, im Mittelpunkt stehe und eine richtige „Rampensau“ bin – ich bin viel introvertierter, als man denken würde und ich muss jedes Mal meine Komfortzone verlassen. Aber das macht auch Spaß. Jedesmal lerne ich dazu und entwickle mich weiter…
Das Interview führte Dr. Elias Güthlein
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