Chefs müssen lernen, nicht zu stören
Dirigent und Start up-Unternehmer Boian Videnoff über Hierarchien, natürliche Führung und Mitbestimmung
Die aktuelle Arbeitsmarktlage von Musikern und Entwicklern könne unterschiedlicher nicht sein, sagt Boian Videnoff, Chefdirigent der Mannheimer Philharmoniker und Co CEO des Start ups Enote. Dennoch herrsche in seinem Unternehmen kein Neid. Und hätten die beiden Berufsgruppen ihre unterschiedlichen Sprachen erst einmal wechselseitig verstanden, funktioniere die Zusammenarbeit gut, auch dank Scrum. Boian Videnoff sieht viele Parallelen zwischen der Leitung eines Orchesters und der Führung eines Unternehmens.
Boian Videnoff wurde 1987 als Sohn einer Musikerfamilie in Sofia, Bulgarien, geboren und wuchs in Italien und Deutschland auf, wo er seine musikalische Ausbildung (Geige, Klavier, Oboe und Gesang) erhielt, bevor er Dirigieren bei Jorma Panula und Gianluigi Gelmetti studierte. Boian Videnoff ist Gründer, Künstlerischer Leiter und Chefdirigent der Mannheimer Philharmoniker, deren künstlerisches Profil er seit der Gründung im Jahr 2009 prägt. Er trat als Dirigent in bedeutenden Konzerthäusern wie etwa der Elbphilharmonie Hamburg auf und arbeitete als Gastdirigent mit verschiedenen Orchestern. Boian Videnoff ist Mitbegründer und Co CEO der Enote GmbH, einem Tech-Start up, das Noten auf Basis künstlicher Intelligenz digitalisiert und nutzbar macht.
Zwischen klassischer Musik und digitalen Noten
Die Mannheimer Philharmoniker wollen herausragenden jungen Musikerinnen und Musikern als Karrieresprungbrett dienen. Als eines der jüngsten professionellen Orchester Europas konzertieren sie in prominenten Konzertreihen und auf Festivals in Europa und Asien und sind regelmäßig zu Gast in wichtigen Konzertsälen.
Die Enote GmbH ist ein Start up, das es ermöglicht, mithilfe digitalisierter Noten, die gescannt und mittels künstlicher Intelligenz weiterverarbeitet werden, und einer App Musikstücke leichter zu finden, einzelne Stimmen hervorzuheben und Wiederholungen zu markieren. Die App von Enote kann Stücke per Mausklick in eine andere Tonart übertragen, sie integriert Stimmgerät und Metronom und macht das Umblättern überflüssig. Enote beschäftigt 44 festangestellte Mitarbeitende, darunter hauptsächlich Entwicklerinnen und Musikologen. Außerdem arbeiten zehn Freelancer für das Start up.
Herr Videnoff, Sie stehen wie wohl kein anderer Dirigent derzeit für die Verbindung von klassischer Musik und Digitalisierung. Wie passt das zusammen?
Boian Videnoff Ich bin als Teenager digital aufgewachsen, ich hatte schon früh Interesse an Computern und eigene zusammengebaut – was man eben so getan hat als Teenager in den Neunzigern. Mich hat seitdem technologischer Fortschritt interessiert, und das hat dazu geführt, dass ich bei meiner großen Leidenschaft für die Musik immer wieder angeeckt bin. Wir arbeiten immer noch mit Materialien, die sehr veraltet sind, zum Teil haben wir keinen Zugriff auf Noten, die wir dringend brauchen, wir arbeiten mit Schere und Kleber und zeichnen etwas auf die Noten. Viele Musiker haben das Bedürfnis, mit moderneren Mitteln zu arbeiten. Mein Frust hat sich jedenfalls stark entwickelt, und dann habe ich meine späteren Mitgründer kennengelernt, die aus der IT-Welt kamen.
Aber hat das nicht Charme, das Umblättern von Noten bei Konzerten oder etwas darauf per Hand zu notieren?
Videnoff Für uns als Musiker fühlt sich das alles andere als charmant an, aber wir haben nicht mal gewagt davon zu träumen, dass es so wie jetzt eine App geben könnte, die es einem ermöglicht, digital eine Stimme über mehrere hundert Seiten zu markieren oder einfach mit zwei Klicks von einem Satz zum nächsten zu springen und nicht in einem Buch rumsuchen zu müssen. Sobald etwas zum Arbeitsmaterial wird, möchte man auch gerne moderne Hilfsmittel zu deren Bearbeitung haben.
Musiker sind unter Druck, ITler können fordern
Sowohl bei den Mannheimer Philharmonikern als auch bei Enote haben Sie sehr viele Berührungspunkte mit jungen Menschen. Was erwarten diese heute vom Berufsleben?
Videnoff Das ist sehr unterschiedlich. Viele Musiker haben während und nach der Coronakrise ihren Job komplett aufgegeben, nicht unbedingt, weil sie das wollten, sondern weil sie ihren Lebensunterhalt bestreiten mussten. Es ist ein großer Druck, als Musiker eine Stelle zu bekommen. Wir bilden in Deutschland über fünfhundert pro Jahr aus, es sind aber maximal einhundert Stellen frei. Deutschland ist eine zentrale Anlaufstelle auf dem weltweiten Arbeitsmarkt im Musikbereich, der sehr hart umkämpft ist. Musiker sind extrem motiviert und sehr dankbar, wenn sie eine Stelle kriegen, und wenn sie mal bei einem festen Orchester gelandet sind, dann ist das in der Regel auch eine Sicherheit fürs Leben.
Auf dem Markt für Entwickler und IT-Fachkräfte sieht es etwas anders aus…
Videnoff Da ist es genau andersrum, es gibt einen großen Bedarf und vergleichsweise wenige Menschen, die diesen decken. Noch weniger bringen genau die Kompetenz mit, die das Unternehmen sucht. Bei uns sind es am Ende nur ein oder zwei Personen, die infrage kommen. Und dann konkurrieren wir plötzlich mit Riesen wie Microsoft, Google oder Amazon, die Gehälter anbieten, bei denen wir nur schlucken. Wenn man ein Unternehmen neu auf die Beine stellen will und dafür Entwickler braucht, dann wird es gleich sündhaft teuer. Da werden „Lavish Oversea Partys“ und andere Dinge verlangt, bei denen ich nur denke: „Wow!“ Bei der inneren Einstellung, als Entwickler überall gefragt zu sein, fällt es ihnen schwer, eine Loyalität aufzubauen. Ich muss sagen, da hatten wir bei Enote wirklich Glück, bisher ist keiner von sich aus gegangen. Wir hatten bei der Auswahl den richtigen Riecher.
Es geht jungen Menschen also auch ums Geld…
Videnoff Das Wichtigste ist, als Mitarbeiter einen emotionalen Hafen zu haben, sich in einem Unternehmen wohlzufühlen, mit den anderen gut klarzukommen, gute Gespräche zu führen und eine befriedigende Zeit zu haben. Gleichzeitig muss es professionell zugehen, Mitarbeiter möchten wachsen und herausfordernde Sachen machen können. Natürlich sind die Bezahlung und andere finanzielle Konditionen wichtig, gerade jetzt. Das ist doch ganz klar, aber wir machen auch vermeintliche Kleinigkeiten, wie jeden Donnerstag ein Mittagessen für alle zu bezahlen und immer wieder in ein anderes Restaurant zu gehen. Solche Aktivitäten sind viel wichtiger, als irgendwo eine große Party zu veranstalten, bei der alle betrunken durch die Gegend laufen.
In Orchestern gibt es eine strenge Hierarchie, in Start ups hingegen scheint sie sich immer mehr aufzulösen. Wie erleben Sie das?
Videnoff Ich weiß nicht, ob das wirklich so unterschiedlich ist. Auch in einem Start up ist es wichtig, eine Hierarchie zu haben. Die Frage ist eher: Wie geht die Führung mit ihrer Verantwortung und ihrer Macht um? Wer sowieso am längeren Hebel sitzt, darf diesen nicht ständig betätigen. Das ist extrem frustrierend für jeden, der mitarbeitet. Gleichzeitig liegt man selbst ja auch nicht immer richtig, man sollte also kritisch gegenüber sich selbst sein. Im besten Fall werden ja Menschen eingestellt, die fachlich besser sind als man selbst. In einem Orchester ist das ähnlich. Ich kann einem Flötisten nicht erklären, mit welcher Technik er diese oder jene Stelle zu spielen hat, weil ich es selbst ja nicht kann. Ich kann aber eine stilistische Richtung vorgeben und eine interpretatorische. Leadership muss natürlich sein. Die Führungsperson hebt sich dann mit ihrem Talent und ihren Qualitäten hervor und wird von den anderen akzeptiert. Dann arbeiten alle in die gleiche Richtung. Wenn aber jemand führt, weil er das für sein Ego toll findet, aber die anderen die Sensibilität für Menschen vermissen und nicht den Eindruck haben, dass es in die richtige Richtung geht, dann wird es Konfrontation geben.
Demnach macht die oft gestellte Frage, ob es Parallelen zwischen der Leitung eines Orchesters und der Führung von Menschen in einem Unternehmen gibt, Sinn…
Videnoff Psychologisch betrachtet ist das der gleiche Job. In der Musik wird allerdings einiges noch sehr viel klarer. Als Dirigent habe ich die Möglichkeit, allein durch Körpersprache zu leiten. In einem Start up oder in einem anderen Unternehmen geht es dagegen mehr um Anweisungen. Ich kann mich ja nicht hinsetzen und etwa vorprogrammieren. Bei Musikern kann ich aber durchaus mit meiner Hand das Tempo verändern. Aber die Führungsprinzipien sind die Gleichen und auch der Bedarf an Sensibilität. Ich habe als junger Dirigent einmal mit einem berühmten Solosänger zusammengearbeitet und wusste genau, ihm kann ich nicht sagen, dass ich es gerne anders hätte. Dann bin ich mit dem Tenor 15 Minuten demonstrativ ins Detail gegangen und habe mit ihm erarbeitet, wie ich es mir wünsche, in der Hoffnung, meine Musikalität und Interpretation gefällt dem anderen Kollegen. Und genau das ist passiert, es hat ihm gefallen, er war einverstanden, und dann konnte ich ihm nach und nach immer wieder auch ein paar Anweisungen geben. Ich konnte formen. Das ist sehr ähnlich auch in der Unternehmungsführung. Gewinne mit Kompetenz, dann sind die Mitarbeiter auch bereit, dir in einer Situation zu folgen, in der du sicher bist, dass die Entscheidung richtig ist, ohne es aber beweisen zu können.
Wie funktioniert ein Orchester, wie verhalten sich die einzelnen Elemente?
Videnoff Der Dirigent ist quasi der CEO, die Stimmenführer sind die Abteilungsleiter, und dann haben Sie unterschiedliche Abteilungen. Beispielsweise die Bläser, da ist jeder Einzelakteur, obwohl es auch dort Chefs gibt, aber jeder hat eine eigene künstlerische Verantwortung mit einer eigenen Stimme. Bei den Streichern haben Sie größere Gruppen, da ist vielmehr Teamwork gefragt, weil alle mit der gleichen Stimme zusammenspielen müssen. Hier werden meine Informationen anders von den Abteilungsleitern aufgenommen. Das alles muss ein Dirigent koordinieren. Und er muss eine gemeinsame Interpretation vorgeben. Wenn alle verstehen, wo es hingehen soll, dann ist der Weg dorthin schneller und angenehmer für alle.
Prozesse von innen verändern
Was geschieht aus dem Orchester selbst heraus, also sozusagen selbststeuernd, und wann greifen Sie ein?
Videnoff Das Erste, was ein Dirigent lernt, ist nicht zu stören. Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr ein Dirigent, wenn er ein bisschen zu spät oder ein bisschen zu früh ist, die ganze „Maschine“ aus dem Takt bringen kann. Er sollte erst einmal gar nicht auffallen und dann versuchen, Impulse zu setzen, etwa das Tempo leicht anzuziehen. Das ist in einem gut funktionierenden Unternehmen auch so, da gibt es Prozesse, die laufen, und da bringt es nichts, aufgrund des eigenen Egos zu sagen, ich will den Prozess ändern, nur um die eigene Handschrift zu erkennen. Wenn ein Chef wirklich eine andere Vision von etwas hat, dann sollte er versuchen, erst einmal nicht zu stören, und sich integrieren – und dann von innen heraus einen Prozess neu zu entwickeln versuchen.
Aber wie kann es nach dem, was Sie bisher gesagt haben und was bekannt ist über die Erfolgsfaktoren von Führung, sein, dass als autoritär geltende Dirigenten großen Erfolg haben können?
Videnoff Es gibt Menschen, die trotz gewisser schlechter Eigenschaften so ansteckend sind als Musiker oder Erfinder, wie etwa Steve Jobs, dass andere Menschen, die ebenso kompetent in dem Bereich sind, bereit sind, wegzuschauen, weil sie inspiriert von ihnen sind. Autoritäres Verhalten ist in der heutigen Zeit nicht mehr angebracht, aber es ist nun einmal so, dass es Persönlichkeiten gibt, die aufgrund ihrer Professionalität angehimmelt werden oder weil sie Außerordentliches leisten.
Bei Enote arbeiten Musikologen und Entwickler zusammen. Gibt es untereinander so etwas wie Neid?
Videnoff Für uns war es immer wichtig, dass wir alle fair für ihre Qualifikationen bezahlen. Bei den studentischen Hilfskräften hatten wir bereits den Mindestlohn, bevor es ihn per Gesetz gab. Jetzt liegen wir deutlich darüber. Für uns war es immer wichtig, auch denjenigen, die in der Musikologie arbeiten, zu zeigen, dass wir honorieren, dass sie in einer IT-Welt sind. Wenn ich als Dirigent mit Solisten arbeite, die Weltstars sind, versuche ich sie davon zu überzeugen, für ein kleineres Honorar zu den Mannheimer Philharmonikern zu kommen. Den jüngeren und noch nicht etablierten Künstlern versuche ich ein Honorar zu zahlen, das ihnen in der jeweiligen Lebensphase hilft. Neid gibt es bei Enote keinen, ganz im Gegenteil, würde ich sagen. Die Leute sehen, dass wir versuchen, so objektiv, fair und transparent wie möglich zu sein. Wir haben beispielsweise einen Musikologen, der sagte: „Ich habe Interesse für Entwicklung, kann ich da reinschnuppern?“ Das haben wir ihm ermöglicht, jetzt arbeitet er in Teilzeit im Backend und spielt Flöte in Schweden.
Und wie funktioniert in Ihrem Start up die Zusammenarbeit?
Videnoff Das ist nicht einfach. Entwickler sprechen von Punkten und Strichen, Musikologen von Szforzati, Dynamik und Artikulation. Das sind zwei komplett unterschiedliche Welten. Die einen mussten lernen, was ein XML-Code ist, und die anderen, was die musikalischen Terminologien bedeuten. Wenn das dann aber verstanden wird, arbeiten die Leute gerne miteinander. Jetzt haben wir, glaube ich, das kompetenteste Team aus Musikologen und Entwicklern, was es weltweit im Moment gibt. Die größte Anpassung für Musiker war, mit Scrum zu arbeiten – auch für mich. Mein Kollege, der jahrelang bei SAP Teams geleitet hat, sagte zu mir: „Jetzt führen wir Scrum ein.“ Das ist ein wirklich toller Prozess, der bei uns schnell von allen angenommen worden ist. Jetzt arbeitet das ganze Unternehmen agil, das ist super.
Nutzen Sie, gerade weil es um so unterschiedliche Mitarbeitende geht, Diagnostik in deren Auswahl?
Videnoff Wir haben uns damit beschäftigt, aber ich muss ehrlich sagen, gerade in der Entwicklung ist so wenig Angebot vorhanden, dass am Ende nur einer oder zwei, wenn überhaupt, infrage kommen. Da gucken wir dann einfach nur noch, stimmt das menschlich, oder haben wir das Gefühl, jemanden reinzuholen, der toxisch sein könnte. Bei den Musikologen haben wir das Glück, dass wir hier in Berlin drei große Musikuniversitäten haben. Die Musikstudierenden arbeiten alle in Teilzeit bei uns und sind eigentlich für das, was sie hier tun, überqualifiziert. Bei ihnen gucken wir, wer ist nicht nur ein guter Musiker, sondern kann auch gut beispielsweise mit Excel umgehen.
Wann Mitbestimmung wichtig ist
Gibt es bei Enote, aber auch bei den Mannheimer Philharmonikern, Strukturen der Mitbestimmung oder der Mitsprache?
Videnoff Also bei professionellen Orchestern absolut: Es gibt den Orchestervorstand, der von den Mitgliedern des Orchestern gewählt wird und der die Interessen der Orchestermusiker auch gegenüber dem Dirigenten vertritt. Meistens geht es dabei um Themen wie Organisation und Abläufe, der Orchestervorstand möchte aber auch künstlerisch mitsprechen. Das Problem ist, dass die Musiker, die künstlerisch am interessantesten sind, oft am wenigsten Lust haben, sich in einen Orchestervorstand einzubringen. In dem sind eher Musiker vertreten, die sich für Verwaltungsthemen interessieren. Was oft dazu führt, dass es clasht, weil sich einige bei den künstlerischen Themen nicht gut vertreten fühlen. Meine Erfahrung zeigt: Wenn in einem Orchester oder in einem Unternehmen transparent kommuniziert wird, warum Entscheidungen getroffen werden und diese nachvollziehbar sind, dann gibt es wenig Probleme. Mir ist bewusst, dass das eher in einem kleinen Umfeld machbar ist, weil da alle die Führungspersonen kennen und sehen, wie sie handeln, dass sie ehrlich in ihrer Tätigkeit sind und ihre Macht nicht missbrauchen, sondern eigentlich sowieso meist im Team entscheiden. Ich hatte schon Situationen, in denen ich wusste, das ist jetzt eine falsche Entscheidung, habe es aber nicht gesagt, weil das Team davon überzeugt war. Wenn es dann nicht geklappt hat, habe ich diesen „Track Record“ für mich gewonnen, und beim nächsten Mal ist es dann anders gelaufen. Wenn Sie jemanden haben, der seine Macht missbraucht, oder wenn das Unternehmen sehr groß ist, dann sind Strukturen der Mitbestimmung nötig. Und leider tendieren sehr viele Menschen zu Machtmissbrauch. Aber im Leben kommt nichts ohne Konsequenzen. Das ist mit Demokratie auch so, sie bietet Sicherheit, aber sie führt auch dazu, dass Entscheidungen nicht immer flexibel und schnell getroffen werden können.
Erste Strukturen von Personalarbeit
Gibt es bei Enote bereits eine ausdifferenzierte Personalarbeit?
Videnoff Wir haben eine Person, die in Vollzeit zusammen mit einer Assistentin im Personalbereich arbeitet, und eine Assistenz, die hauptsächlich uns Gründern hilft, aber auch beim Hiring. Wenn man so will, haben wir also zwei Vollzeitstellen im Personalbereich. Sie kümmern sich neben dem Recruiting darum, jeden Monat ein anonymes Survey durchzuführen. Wir erfragen die Stimmung, was nicht gut ist und so weiter. Das werten sie aus und besprechen es mit meinem Kollegen im Vorstand. Wir möchten unsere Büroräumlichkeiten für alle angenehm gestalten, wir haben immer frische Früchte, Snacks und Getränke. Darum kümmern sie sich auch, sie organisieren die Mittagessen und Firmenevents. Wir machen jedes Quartal irgendwas zusammen und haben immer wieder ein paar größere Feste. Sie kümmern sich also darum, dass die Mitarbeiter glücklich sind und ihre Bestleistung abliefern können.
Wie soll sich, wenn Sie in die Zukunft schauen, die Personalarbeit bei Enote weiterentwickeln?
Videnoff Das ist ein wichtiger Aspekt. Gerade wenn ein Unternehmen mit Entwicklern arbeitet, ist es extrem wichtig, dass die HR-Abteilung das Zwischenmenschliche gut händeln kann. Entwickler können auf eine Art reagieren, die nicht immer angebracht ist. In der IT-Welt muss man sehr vorsichtig sein und wissen, wie mit schwierigen Situationen umzugehen ist. Man muss also auch in HR die richtigen Menschen einstellen. Viele Streits entstehen aus irgendwelchen Kleinigkeiten heraus, die mit Ego zu tun haben. Es geht in HR darum, die Unternehmenskultur zu pflegen und so etwas wie eine Leitkultur zu verskripten, also wie in bestimmten Situationen zu handeln ist. Je größer das Unternehmen wird, umso mehr wird ein Regelwerk benötigt. Aber gleichzeitig darf es auch nicht zu streng zugehen, also eher ein Verhaltenskodex. Das ist eine große Herausforderung für HR.
Inwieweit sind HR-Themen oder Fragen der Führung relevant für Ihre Investoren?
Videnoff Natürlich sind das Themen, die besprochen werden. Aber wenn jemand in ein junges Unternehmen investiert, dann investiert er in die Gründer. Dementsprechend finden sehr viele Gespräche mit Investoren statt, damit diese ein Gefühl für uns als Gründer kriegen – wie wir ticken, wie wir in bestimmten Situationen reagieren und warum welche Entscheidungen getroffen wurden und wie viel Selbstkritik dabei ist. Am Ende eines solchen Gesprächs kann ein Investor ziemlich gut abschätzen, ob ein Gründer mit der Brechstange an jedes Problem herangeht oder mehr mit Fingerspitzengefühl, ob das jemand ist, der sich durchsetzen kann in einem Moment, in dem das wichtig ist. Investoren interessiert, ob die Gründer in der Lage sind, das Unternehmen aufzubauen, und dazu gehören Hiring und Führung von Menschen.
Wir haben seitens der DGFP institutionelle Investoren in eine Studie eingebunden. Demnach schauen diese zunehmend auf HR KPIs und Themen wie Weiterbildung und Qualifikation oder eine gendergerechte Vergütungsstruktur...
Videnoff Wenn es bei der Finanzierung eines Start ups Richtung IPO geht, werden das sehr wichtige Themen, und dann wird auch auf die Statistik geguckt. Jetzt hingegen schauen die Investoren noch sehr stark auf uns als Gründer. Aber was wir seit der Gründung haben, sind 2000 Euro im Jahr, die wir jedem Mitarbeiter anbieten, um sich weiterzubilden. Wir sprechen sie auch dazu an und sagen: „Mach das doch, entwickle dich weiter.“ Wenn jemand sagt, er würde gerne in diesen oder jenen Bereich reinschauen, dann machen wird das, wenn es möglich ist. Es ist extrem wichtig, Menschen dabei zu unterstützen, ihr Potenzial zu verwirklichen. Das sehe ich als meine Aufgabe an – als CEO und als Dirigent.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führten Ralf Steuer und Rainer Spies.
Das Interview erschien zuerst in unserem Fachmagazin PERSONALFÜHRUNG 02/2023.
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