Chance und Verpflichtung für moderne Personalarbeit

In unserem neuen Format "DGFP auf den Punkt" beziehen Vorstandsmitglieder der DGFP Stellung zu aktuellen Themen des Personalmanagements. In unserer aktuellen Ausgabe des regelmäßig erscheinenden Standpunktes spricht Dr. Thomas Ogilvie, Personalvorstand und Arbeitsdirektor der DHL Group Bonn, über neue Verpflichtungen aber vor allem auch Chancen, die sich durch eine zunehmende Auffächerung und (regulatorischen) Institutionalisierung von Nachhaltigkeitsanforderungen für die Personalarbeitergeben. 

Mitarbeiterbindung, Employee Engagement und gute Arbeitsbedingungen sind bereits seit Jahrzehnten Parameter einer erfolgreichen Personalarbeit, auch wenn die Begrifflichkeiten sich über die Jahre verändert und internationalisiert haben. Nachhaltigkeit ist demnach keine wirklich neue Disziplin für Personalverantwortliche und -praktiker. Den noch ergeben sich mit der zunehmenden Auffächerung und (regulatorischen) Institutionalisierung von Nachhaltigkeitsanforderungen, die unter dem Kürzel ESG zusammengefasst sind, neue Anforderungen, aber vor allem auch neue Chancen für eine moderne Personalarbeit.

“Nachhaltigkeit ist keine wirklich neue Disziplin für Personalverantwortliche und -praktiker.”

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Das „E“ (Environment), mit dem Fokus auf die Dekarbonisierung und Reduktion beziehungsweise Elimination von Umweltrisiken wirtschaftlichen Handelns, ist klar definiert. So ist es auch mit dem „G“ (Governance), das für gute, ethisch einwandfreie Unternehmensführung und -kultur steht. Beim „S“ hingegen stellt sich die Frage, welche Bausteine über bestehende und zukünftige Reporting-Anforderungen hinaus im Fokus stehen müssen, um soziale Nachhaltigkeit zu einem Wettbewerbsvorteil unternehmerischen Handelns zu machen. Es geht um Pflicht und Kür, wobei im Hinblick auf Reporting- und Prozessanforderungen vor allem große Wirtschaftsunternehmen, entlang der durch die EU festgelegten Umsatzschwellenwerte im dreistelligen Millionenbereich, entsprechende Verpflichtungen haben. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass soziale Nachhaltigkeit vom Mittelständler bis zum Global Player auf der Agenda stehen und unternehmensindividuell ausbuchstabiert werden sollte.

Das Zauberwort heißt Materialität. Es steht für nichts anderes, als transparent zu machen, welche Risiken für den Unternehmenserfolg mit Blick auf die Belegschaft und die breitere Stakeholderlandschaft bestehen und minimiert werden müssen. Arbeitssicherheit, Fluktuation, unbesetzte kritische Positionen sowie unzureichende Transparenz im Hinblick auf externe Berichtspflichten sind Beispiele, die auf der materiellen Risikoseite stehen. 

Auf der Chancenseite steht Humankapital und damit die Frage, wie man Kreativität, Produktivität, sprich operative Exzellenz und Innovationskraft, maximieren kann.

Wo stehen wir? Was ist wichtig für uns? Welche Ziele setzen wir uns? Eine solche Standortbestimmung ist keine reine Personaleraufgabe, sondern ein gemeinsames Geschäftsführungs- oder Boardthema. Sie ist ein immanenter Bestandteil jeder Unternehmensstrategie. In der Ausarbeitung und Implementierung steht der HR-Bereich in der Verantwortung, im engen Schulterschluss mit dem Finanzbereich und den anderen Funktionen.

“Der Weg ist oft steinig, aber erzwingt praktisch eine Professionalisierung der HR-Systemlandschaft, die gleichzeitig auf der Wertseite die Grundlage für eine Standardisierung und Automatisierung von Personalprozessen bietet.”

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Reporting: Für Unternehmen, die unter die europäischen Berichtspflichten der European Sustainability Reporting Standards (ESRS) beziehungsweise der Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) fallen, gilt es, eine auditierbare HR-Systemlandschaft zu implementieren, die unternehmensübergreifend in der Lage ist, Datenpunkte zu erfassen und aggregiert verfügbar zu machen. Damit erhalten Personaldaten denselben Stellenwert, wie Umsatz- und Finanzdaten. Excelbasiertes Personalmanagement muss damit ein Ende nehmen. Der Weg ist oft steinig, aber erzwingt praktisch eine Professionalisierung der HR-Systemlandschaft, die gleichzeitig auf der Wertseite die Grundlage für eine Standardisierung und Automatisierung von Personalprozessen bietet. Durch die hier neu entstehende Rolle im Bereich Governance rücken HR und Finance noch enger zusammen. \ Standards und Prozesse: Hier fallen Pflicht und Kür zusammen. Auf der einen Seite gilt es, zum Beispiel als Teil eines internen Kontrollsystems, zu definieren, welche nachweisbaren Standards etabliert sein müssen, um Pflichtverletzungen zu verhindern (Vier-Augen-Prinzip, dokumentierte Unterweisungen zu Arbeitssicherheit, diskriminierungsfreie Rekrutierungsprozesse). Auf der anderen Seite bietet sich hierüber die Möglichkeit, Workflows entlang des Mitarbeiterlebenszyklus so zu gestalten und zu standardisieren, dass sie positiv auf die Employee Experience einzahlen (z.B. Onboarding- oder Feedback-Prozesse). Entscheidend ist erneut, genau dort Standards und Prozesse zu bestimmen und zu etablieren, wo es materielle Wert- oder Risikotreiber gibt. \ Mitarbeiterengagement: Soziale Nachhaltigkeit ist

“Unabhängig von Branche und Industrie erbringen engagierte Mitarbeitende bessere Qualität und sind produktiver.”

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Mitarbeiterengagement: Soziale Nachhaltigkeit ist wertlos, wenn sie sich nicht auch in subjektive Arbeitszufriedenheit und ein hohes Mitarbeiterengagement übersetzt. Unabhängig von Branche und Industrie erbringen engagierte Mitarbeitende bessere Qualität und sind produktiver. Damit haben sie einen direkten Einfluss auf den kurz- und langfristigen Unternehmenserfolg. Es gibt keine Einzelmaßnahme, die im Sinne von Ursache und Wirkung Mitarbeiterengagement „erzeugen“ kann. Aufgabe jedes Unternehmens ist es, den individuellen Treiberbaum zu bestimmen. Gute Arbeitsbedingungen, wertschätzende Führung, Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten, eine inklusive Unternehmenskultur sind Stichworte, die zu berücksichtigen sind und zum Leben gebracht werden müssen

“Unternehmen, die glaubwürdig und konsistent soziale Nachhaltigkeit definieren, implementieren und vorleben, haben im Kampf um Talente einen Vorteil.”

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Arbeitgebermarke: Tue Gutes und rede darüber, ist nicht nur eine Marketingweisheit. Es ist ein Prinzip, das auch hier greift. Unternehmen, die glaubwürdig und konsistent soziale Nachhaltigkeit definieren, implementieren und vorleben, haben im Kampf um Talente einen Vorteil. Dabei hilft nicht nur Mund-zu-Mund-Propaganda, wenn sich Mitarbeitende positiv über ihr Unternehmen äußern, sondern auch die Konsistenz und Glaubwürdigkeit in der Außendarstellung und die Schärfung der Arbeitgebermarke. Die zuvor beschriebenen Punkte ergeben sich nicht von allein, sondern sind das Resultat einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema soziale Nachhaltigkeit. Sie erweitern den Scope und den Verantwortungsbereich von HR. Hier liegt womöglich die größte Chance, wenn es darum geht, Menschen als Wert- und Erfolgstreiber unternehmerischen Handelns zu begreifen. Der Weg dahin muss im Dialog aller Unternehmensbereiche erfolgen – die Umsetzung ist eine Aufgabe für die moderne Personalarbeit.

Das Interview ist zuerst in unserem Fachmagazin PERSONALFÜHRUNG Ausgabe 07-08/2024 erschienen.

Mehr zum Thema Nachhaltigkeit finden Sie in der aktuellen Ausgabe unseres Fachmagazins PERSONALFÜHRUNG.

Zur aktuellen Ausgabe Schwerpunkt „Nachhaltigkeit in der Praxis“