"ERFA-Jubiläum: 70 Jahre Perspektiven im Dialog"

Ein Interview mit Norbert Janzen, CHRO der FUNKE Mediengruppe und Vorstandsmitglied der DGFP

Oft sind es nicht die Antworten, die uns weiterbringen, sondern die Fragen, die wir uns (noch) nicht gestellt haben. Zum 70-jährigen Jubiläum der ERFA-Gruppen spricht Norbert Janzen über sieben Jahrzehnte Erfahrungsaustausch – weil die Vergangenheit uns lehrt, die richtigen Fragen für die Zukunft zu stellen. Wer wäre für ein Interview besser geeignet als einer der Initiatoren des Young Professional Networks (YPN)?

Deshalb nehmen wir uns 70 Jahre Zeit – oder anders gesagt: Wir blicken mit Norbert auf 70 Jahre zurück, um nach vorn zu sehen. Jede Dekade steht für eine Phase der Entwicklung, in der eine neue Perspektive ins Zentrum rückt: Von der Identität, den Herausforderungen, der persönlichen Verbindung  über den individuellen Beitrag bis hin zur Zukunftsfähigkeit der ERFA-Gruppen in einer sich ständig wandelnden Arbeitswelt.

Am Ende führt uns jede dieser Phasen zum Kern der eigentlichen Frage des Jubiläums: Warum braucht HR den Erfahrungsaustausch heute mehr denn je?

Lieber Norbert, schön, dass wir uns heute 70 Jahre Zeit nehmen für ein Interview. Wir haben uns Folgendes gedacht: Jedes Jahrzehnt der ERFA kann sinnbildlich für eine Lebensphase stehen, mit der wir die Essenz der ERFA-Gruppen schrittweise ergründen. Bist du bereit?

Norbert Janzen: Let’s go.

Die Erfahrungsaustauschgruppen-Gruppen sind geboren – ein Netzwerk aus der Praxis für die Praxis. Diese Idee überzeugt uns noch heute. Norbert, als einer der Wegbereiter des Young-Professional-Networks (YPN): Was macht dieses Konzept siebzig Jahre später so anschlussfähig?

Janzen: Netzwerke sind unabdingbar. Das gilt heute mehr denn je – und morgen wahrscheinlich noch mehr als heute. Die Geschwindigkeit und Komplexität von neuen Informationen, neuen Erkenntnissen und übergreifenden Entwicklungen nimmt rasant zu. Deshalb brauchen wir Ansprechpartner*innen, die wissen, welche Herausforderungen bestehen und wie wir ihnen am besten begegnen. Gerade in der Personalarbeit gibt es extrem viele Schnittmengen – industrieübergreifend, egal ob Produktion oder Dienstleistungen – letztlich geht es immer um die Frage: Wie gestalten wir neue Wege für unser Unternehmen und HR? In diesem Zusammenhang hat das Young Professional Network (YPN) als ERFA-Spin-Off (für alle unter 35 Jahren) einen besonderen Stellenwert für mich: Hier können junge HR-Profis nicht nur netzwerken, sondern echte Praxis-Insights austauschen.

“Was funktioniert wirklich im Alltag? Welche Ideen sind erfolgreich, welche gescheitert – und warum? Gerade dieser ehrliche Austausch macht das Format so wertvoll und sorgt dafür, dass neue Perspektiven entstehen.  Diese helfen in der Weiterentwicklung der betrieblichen Praxis aber auch in der persönlichen Reflexion der eigenen Entwicklung.”

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Nach den ersten Gehversuchen kommt man in die spannende Phase der Teenager-Jahre, in der die Frage der Identität eine zentrale Rolle spielt: Was ist die besondere Anziehungskraft der ERFA-Gruppen?

Janzen: Auf der einen Seite teilen wir in den ERFA-Gruppen offen die gemeinsamen Herausforderungen und Rahmenbedingungen. Und das völlig unabhängig von Komplexität, Anzahl der Mitarbeitenden und den Geschäftsfeldern eines Unternehmens. Auf der anderen Seite: die geteilten Werte – Vertrauen und Ehrlichkeit. Dadurch entsteht „Realtalk“, wie man neudeutsch sagen könnte. 

“Egal welches Projekt ich angehe, irgendwann beginne ich, mich gedanklich im Kreis zu drehen und brauche Feedback, idealerweise außerhalb meiner eigenen Bubble.”

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In diesem Moment zeigt sich der Mehrwert der ERFA-Gruppen: Hier kann ich mich peer-to-peer austauschen und Ideen teilen und sammeln.

Die Dreißiger: In den Dreißigern geht es nicht mehr nur um Sturm und Drang – die persönliche Verbindung gewinnt an Bedeutung: Hast du einen Moment oder eine Erfahrung mit einer ERFA-Gruppe, die für dich besonders prägend war?

Janzen: Das erste, was mir einfällt, ist der Beginn meiner Karriere: Als ich neu in meiner Rolle war, brauchte ich Orientierung. Und die fand ich in Vorbildern, erfahrenen Personaler*innen, die teilweise zu Mentor*innen wurden und die mir vor allem eines beibrachten: Geduld mit mir selbst und respektvoll umgehen mit jedem Menschen, egal in welcher Rolle er mir begegnet.

Einfach zu verstehen, anfänglich nicht immer leicht umzusetzen, insbesondere in schwierigen Situationen. “All people are owed respect for the simple fact of being humans.” Das ist ein Credo, das mich geprägt hat und für mich auch das „Human“ in Human Resources bedeutend macht.

Aber auch die Verbindung mit und der offene Austausch nur unter jüngeren Personaler*innen war mir wichtig, um neuen Denkweisen eine Chance zu geben, anders zu sein als die Generation vor uns. Hier ist heute das YPN Netzwerk eine gute Adresse. 

Das zweite, an das ich unweigerlich denken muss, ist ein breiteres Verständnis von Erfolg. Ich habe gelernt, HR nicht isoliert zu betrachten, sondern als Player, der im Gesamtkontext des Unternehmens agieren muss und dafür Verbündete braucht, um gemeinsame Ziele zu definieren und zu erreichen. Netzwerke innerhalb und außerhalb unserer Unternehmen machen uns stärker und uns zu einem wertvollen Teil einer Organisation und der Gesellschaft.

“Als Sprachrohr der HR-Community können wir gemeinsame Positionen entwickeln, um gesellschaftlichen Wandel mitzugestalten. Die DGFP hat hier ein Alleinstellungsmerkmal: keine andere Institution arbeitet themenorientiert so tief und gleichzeitig auch in der Breite.”

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Wir sind jetzt in den Vierzigern – einer Lebensphase voller Herausforderungen, Wachstum und Selbstbewusstsein. HR hat wohl nie zuvor eine derartige Komplexität an Themen bewältigen müssen: Von KI bis hin zu neuen Arbeitsformen. Wie können Netzwerke wie die ERFA-Gruppen in solchen Zeiten eine Stütze sein?

Janzen: Es nimmt den Druck, alles allein bewältigen zu müssen. Gemeinsam können wir viel mehr Themen überblicken und durchdringen. Die ERFA-Gemeinschaft bietet die Möglichkeit, Chancen und Risiken zu verstehen, zu reflektieren und Handlungsfelder auszuloten. Darüber hinaus sehe ich eine wichtige Rolle in der politischen Dimension: Als Sprachrohr der HR-Community können wir gemeinsame Positionen entwickeln, um gesellschaftlichen Wandel mitzugestalten. Die DGFP hat hier ein Alleinstellungsmerkmal: keine andere Institution arbeitet themenorientiert so tief und gleichzeitig auch in der Breite. Wir haben die Chance als Mitglieder dieser Community, daraus zu schöpfen und neue Schritte für uns selbst und unsere Organisationen zu identifizieren und zu gehen.

Damit gehen wir nahtlos in die nächste Lebensphase über: die Fünfziger. Der persönliche Beitrag wird hier besonders relevant. In einer Zeit, in der vieles schneller, digitaler und anonymer wird: Was können wir – gerade als HR-Profis – von der Philosophie der ERFA-Gruppen lernen und in den Alltag integrieren?

Janzen: Jedes Team braucht selbstkritischen, inklusiven und freien Austausch. Das erleben wir in den ERFA-Gruppen – und das müssen wir auch abteilungsübergreifend in unseren Unternehmen leben. Das Prinzip Nähe ist dabei entscheidend: Wenn wir uns sehen – sei es auch nur virtuell – und miteinander reden und unsere Perspektiven austauschen, entstehen neue Denkwege, die ich auf mich allein gestellt ggf. nie einschlagen würde. Die Offenheit, mit der sich die Mitglieder der ERFA-Gruppen begegnen sind Vorbild für andere Gruppen, in denen wir uns bewegen in unseren Unternehmen.

“Jedes Team braucht selbstkritischen, inklusiven und freien Austausch. Das erleben wir in den ERFA-Gruppen – und das müssen wir auch abteilungsübergreifend in unseren Unternehmen leben.”

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Mit sechzig Jahren blicken wir natürlich auch in Richtung Zukunft und haben eine Vision. Wie können ERFA-Gruppen in den nächsten 10, 20 oder 70 Jahren relevant bleiben?

Janzen: Mut zur Veränderung. Der Kerngedanke der ERFA-Gruppen wird zum Erfolgsgarant: Durch Dialog setzen wir der rasanten Entwicklung etwas entgegen, gewinnen Selbstsicherheit und bleiben entscheidungsfähig und -freudig.

Im hohen Alter jenseits der 70 richten wir gerne das Wort an die nächste Generation und formulieren eine Botschaft. Wenn du im Zusammenhang der ERFA-Gruppen an eine Weisheit denkst, welche wäre das – in einem Satz?

“Die Themen von morgen können wir heute schon gemeinsam verstehen.”

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Schlagen wir noch einen letzten Nagel ein: Das Wort ERFAHRUNG kann man nicht ohne ERFA & HR schreiben – wofür steht das „UNG“?

Janzen: „Umsetzung neuer Gedanken“ oder auch „Unbegrenzte Neugierde und Gestaltung“ Beides drückt sehr gut aus, was HR und ERFA verbindet.

Das Gespräch führte Dr. Elias Güthlein

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