Evidenz To Go: Bitte bleib!
Mitarbeitendenbindung ist heute (nicht mehr) möglich
Alle reden über „Great Resignation“. Auch in Deutschland zeigt sich, dass immer mehr Arbeitnehmende die Beziehung zu ihren Unternehmen überdenken und sich nach Alternativen auf dem Markt umsehen. Wie lassen sich Mitarbeitende halten?
Das Problem
Die steigende Fluktuation setzt Unternehmen unter Druck: 56 Prozent der befragten Geschäftsführer*innen sagten im August 2022, dass zunehmende Mitarbeitendenfluktuation für sie ein relevantes Thema sei (Statista 2022). Auch die aktuelle Gallup-Engagement-Studie zeigt, dass sich 26 Prozent der Beschäftigten auf dem Markt nach Optionen umschauen und 14 Prozent aktiv einen neuen Arbeitsplatz suchen. Bemerkenswert ist, dass diese Zahl doppelt so hoch ist wie in den Jahren zuvor und das erste Mal höher als bei US-amerikanischen Beschäftigten (Gallup 2022).
Die Wissenschaft
Manager*innen können viel aus den zahlreichen Studien zum Thema Fluktuation lernen. Ein Teil dieser Studien hat gezeigt, dass Menschen in Organisationen, die psychologisch „empowered“ sind, zufriedener sind und sich mehr einbringen (Seibert / Wang / Courtright 2011). Psychologisches Empowerment wird als eine Kombination von vier Kognitionen definiert: Sinnhaftigkeit, Selbstbestimmung, Kompetenz und Wirksamkeit. Sinnhaftigkeit bezieht sich auf die Passung zwischen den Anforderungen aus dem eigenen Job und den eigenen Glaubenssätzen. Selbstbestimmung ist die Freiheit, eigene Aktivitäten zu initiieren oder zu regulieren. Kompetenz bezieht sich auf den Glauben an die eigene Fähigkeit, Arbeitstätigkeiten erfolgreich auszuführen. Wirksamkeit ist der Glaube, dass man Einfluss auf die Aktivitäten und Ergebnisse im eigenen Bereich hat.
Wenn Menschen in Organisationen diese vier Elemente in ihrem Arbeitsalltag empfinden, steigt ihre Zufriedenheit mit ihrem Job. Gelebte Autonomie und Selbstbestimmung führen dazu, dass Mitarbeitende ihren Job so gestalten, wie er für sie passend ist. Empfundene Kompetenz und Wirksamkeit stärken das Gefühl, das eigene Potenzial auszuschöpfen. Meyer, Becker und Vandenberghe (2004) stellten eine starke Beziehung zwischen intrinsischen Formen der Motivation und affektivem Engagement fest. Wenn Menschen eine hohe Passung zwischen ihren Werten und ihrem Job sehen, werden die Bindung an die Organisation und die Bereitschaft gestärkt, sich einzubringen.
Theoretisch können Selbstbestimmung und damit verbundene Verantwortungsübernahme zusätzliche Stressfaktoren sein. Die Wissenschaft zeigt aber, dass durch die Möglichkeit, diese Stressfaktoren selbst zu beeinflussen und mitzubestimmen, die Vorteile überwiegen. Bestärkt durch Kompetenz und Wirksamkeit ist belegt, dass empowerte Mitarbeitende ihre Arbeit als weniger belastend wahrnehmen. Wenn in ein empowertes Arbeitserlebnis eines Mitarbeitenden investiert wird, ist es unwahrscheinlich, dass ein vergleichbares Verhältnis einfach erreichbar auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Dadurch sinkt der Nettonutzen alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten und damit die Wahrscheinlichkeit einer Fluktuation (Griffeth / Hom / Gaertner 2000).
Die Praxis
Wie kann Empowerment gestärkt werden? Individuen, die besonders gut selbst reflektieren können, haben ein Gefühl für ihre Kompetenzen, die Passung ihres Jobs zu ihren Werten und dafür, wie sie gerne arbeiten möchten. Führungskräfte können Empowerment ihrer Mitarbeitenden unterstützen, indem sie sie in der Reflexion unterstützen. Wenn die richtige Passung hergestellt wird, fühlen sich Führungskräfte selbstbestimmter und wirksamer in ihrer Führungsrolle (Schermuly et al. 2022). Darüber hinaus haben Studien gezeigt, dass Informationsaustausch, Dezentralisierung und partizipative Entscheidungsfindung – durch starke Führungskräfte forciert – Empowerment in Organisationen fördern (Liao et al. 2009).
Literatur
Gallup (2022): Engagement Index Deutschland 2021; www.gallup.com/de/321938/engagement-index-deutschland-2020.aspx
Griffeth, R. W. / Hom, P. W. / Gaertner, S. (2000): A meta-analysis of antecedents and correlates of employee turnover: Update, moderator tests, and research implications for the next millennium, in: Journal of Management, 26 (3), 463-488, doi: 10.1177/014920630002600305
Liao, H. / Toya, K. / Lepak, D. P. / Hong, Y. (2009): Do they see eye to eye? Management and employee perspectives of high-performance work systems and influence processes on service quality, in: Journal of Applied Psychology, 94 (2), 371-391, doi: 10.1037/a0013504
Meyer, J. P. / Becker, T. E. / Vandenberghe, C. (2004): Employee commitment and motivation: A conceptual analysis and integrative model, in: Journal of Applied Psychology, 89 (6), 991-1007, doi: 10.1037/0021-9010.89.6.991
Schermuly, C. C. / Creon, L. / Gerlach, P. / Graßmann, C. / Koch, J. (2022): Leadership styles and psychological empowerment: A meta-analysis, in: Journal of Leadership & Organizational Studies, 29 (1), 73-95, doi: 10.1177/15480518211067751
Seibert, S. E. / Wang, G. / Courtright, S. H. (2011): Antecedents and consequences of psychological and team empowerment in organizations: A Meta-analytic review, in: Journal of Applied Psychology, 96 (5), 981-1003, doi: 10.1037/a0022676
Statista Research Department (2022): Umfrage zur Mitarbeiterfluktuation nach Branchen 2022; de.statista.com/statistik/daten/studie/1325493/umfrage/zunehmende-mitarbeiterfluktuation-nach-branchen/
Der Fachartikel erschien zuerst in unserem Fachmagazin PERSONALFÜHRUNG 03/2023.
Autorin: Klementine Klein, Consultant bei der Transformationsberatung HRpepper, Berlin
Zum Fachmagazin Personalführung