„Feedback – nicht neu, aber wichtig“

Covestro-Personalchefin Sophie von Saldern über Leistung und Mut

Eine Unternehmenskultur, die Mut erfordert. Und ein Feedbackprozess, der Wertschätzung großschreibt. Sophie von Saldern sucht nach Lebensläufen, die herausragen, und Menschen, die eine Geschichte mitbringen. So findet sie den passenden Nachwuchs für ein Unternehmen, das sich der Kreislaufwirtschaft verschrieben hat.

Sophie von Saldern, geboren 1973 in Göttingen, begann 1985 eine professionelle Basketballkarriere und spielte bis 2004 für die deutsche Nationalmannschaft. Von Saldern ist Diplom-Ökonomin und hat einen Master in Arbeits- und Organisationspsychologie. Sie studierte an der Technischen Universität Berlin, der Fernuniversität Hagen und der University of California, Berkeley. Seit 2019 verantwortet sie die globalen Personaltätigkeiten der Covestro AG. 

Frau von Saldern, was ist spannender, ein Basketballspiel in der Profiliga oder Ihr Vorstellungsgespräch bei Covestro?

Sophie von Saldern (lacht) Beim Sport schüttet man sehr viel Adrenalin aus, das ist schon körperlich aufregender als das Berufsleben, aber auch da gibt es spannende Momente.

Spannend ist es in Zeiten des Fachkräftemangels, geeignete Mitarbeitende zu finden. Wie gelingt Ihnen das?

Von Saldern Es ist schwer zu sagen, welcher Moment der ausschlaggebende ist, in dem sich ein Kandidat oder eine Kandidatin für uns entscheidet. Denn wir versuchen auf allen Kanälen, uns bekannt zu machen und als attraktiv wahrgenommen zu werden. Wenn jemand uns monatelang auf den Social-Media-Kanälen folgt, ist es schwierig zu bestimmen, wann der Entschluss für eine Bewerbung gefasst wurde. Insofern ist das Employer Branding des Unternehmens sehr wichtig, um Fachkräfte zu gewinnen. Am schwierigsten ist es tatsächlich, IT-Experten und ‑Expertinnen sowie Ingenieurinnen und Ingenieure zu finden.

Ist der Einsatz von Covestro für eine Kreislaufwirtschaft ein schlagendes Argument?

Von Saldern Das ist in der Tat sehr, sehr ansprechend für die Bewerbenden. Seit 2019 hat sich Covestro der Kreislaufwirtschaft verschrieben. Unsere Vision ist, vollständig kreislauffähig zu werden. Dabei konzentrieren wir uns auf vier Felder: alternative Rohstoffe, innovative Recyclingtechnologien, starke Partnerschaften und erneuerbare Energien. So forschen wir zu der Frage, wie man Kunststoffe nachhaltiger macht, um eine Kreislaufwirtschaft zu realisieren. Vor allem die junge Generation spricht das sehr an. Sie fragt sich, was ihr Beitrag sein kann für eine nachhaltigere Welt. Wir erleben eine positive Resonanz auf unsere Vision und unser Geschäftsmodell.

Mit dem „Sonnenwagen“ durch Australien

Dennoch, Covestro ist lange nicht so bekannt wie der Bayer-Konzern, aus dem das Unternehmen hervorgegangen ist. Was tun Sie, um an Hochschulen Nachwuchs für Covestro zu begeistern?

Von Saldern Wir haben mehrere Kooperationen, sowohl in Deutschland als auch im Ausland, etwa in den USA und China. An der RWTH Aachen sponsern wir etwa das Team „Sonnenwagen“, bei dem Studierende an einem der weltweit härtesten Solarautorennen in Australien teilnehmen. Bei dem Projekt lernen die Studierenden uns und unsere Teams kennen, das ist ein sehr erfolgreicher Weg, den Nachwuchs für uns zu begeistern.

Ein ausschlaggebendes Kriterium bei der Wahl eines neuen Arbeitgebers ist die Unternehmenskultur, wie Studien zeigen. Covestro hat folgende Unternehmenswerte formuliert: „Wir sind neugierig, mutig und vielfältig.“ Warum muss man denn mutig sein, um bei Ihnen zu arbeiten?

Von Saldern Man sollte mutig genug sein, neue Wege zu gehen. Man sollte Mut haben, Bewährtes zu hinterfragen. Wir wollen einen Diskurs führen. Ziel ist es, Altes hinter sich zu lassen, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und sich von Hierarchien nicht einschüchtern zu lassen. Und wenn ich eine Idee habe, aber mein Chef hört mir nicht zu, muss man mutig genug sein, auch mal zu widersprechen. Bei uns zählt nicht die Hierarchie, sondern, Innovationen Gehör zu verschaffen. Wir wollen, dass Führungskräfte ihre Teams zu Kritik ermutigen. Denn nur so bekommen wir eine Vielfalt der Perspektiven und echte Innovationen. Zum Bestandteil der Fortbildungen der Führungskräfte gehört es, dass sie lernen, Widerspruch zuzulassen.

Sie haben einmal gesagt, dass Leistung Spaß machen muss. Wieso macht es Spaß, bei Covestro etwas zu leisten?

Von Saldern Mir persönlich macht es grundsätzlich Freude, etwas zu leisten und damit Wirkung zu schaffen. Zur Kultur unserer Organisation gehört es, Leistung zu verlangen und diese dann auch anzuerkennen. Leistung muss thematisiert werden, Wertschätzung ebenfalls.

Wie sieht diese Wertschätzung aus?

Von Saldern Wir sind ein großer Konzern, und es gibt verschiedene Möglichkeiten, Leistung anzuerkennen. Zum einen in der trivialsten Form: ein echtes Feedback zu geben und auch anzunehmen, Wertschätzung auszusprechen für eine besondere Leistung. Das ist für mich immer noch einer der wertvollsten Mechanismen. Zum anderen durch die Entwicklung hin zu einer neuen Position mit mehr Verantwortung. Und natürlich gibt es auch monetäre Formen der Anerkennung.

Gutes beibehalten und Dinge neu definieren

Covestro stammt aus dem Bayer-Konzern, und dieser ist nicht gerade für Agilität bekannt. Wie schwierig war es denn, die Bayer-Kultur in eine Covestro-Kultur zu überführen?

Von Saldern Das war vor meiner Zeit. Covestro wurde 2015 ausgegründet, und ich habe 2019 hier begonnen. Mir wurde natürlich über den Weg in die Eigenständigkeit berichtet. Es ging darum, selbstbewusst die guten Dinge beizubehalten, aber auch die Möglichkeit zu nutzen, Dinge neu zu definieren. Wir waren dann natürlich viel kleiner als Bayer, und vieles konnte schlanker organisiert werden. Ich glaube, das war eine sehr aufregende Zeit, die ganz stark unsere jetzige Kultur geprägt hat. Diese Mischung eines traditionellen Industrieunternehmens und einer ganz neuen Organisation hat mich selbst damals sehr stark angesprochen.

Was ist denn heute noch von der Bayer-Kultur geblieben?

Von Saldern Die sehr große Verbundenheit der Menschen mit dem Unternehmen. In dem Sinne, dass Familienmitglieder hier generationsübergreifend arbeiten. Das finde ich wunderbar, das ist eine der schönsten Auszeichnungen für einen Arbeitgeber, wenn unsere Mitarbeitenden möchten, dass ihre Kinder eine Ausbildung bei uns machen. Das ist eine echte Wertschätzung, denn man geht doch davon aus, dass Eltern das Allerbeste für ihre Kinder wünschen. Man merkt auch bei einigen Themen im HR-Bereich, dass immer noch viel Ähnlichkeit besteht mit dem Bayer-Konzern, etwa im Kompensationssystem. Man kann Gutes ja beibehalten.

Wann wird diese Transformation abgeschlossen sein?

Von Saldern Der Weg in die Eigenständigkeit von Covestro ist abgeschlossen. Zudem kommen mit jedem Jahr neue Kolleginnen und Kollegen hinzu, die die Bayer-Unternehmenskultur nicht erlebt haben. Sie bringen neue Ideen, Denk- und Arbeitsweisen in das Unternehmen. Dies fördert die für uns wichtige Diversität und Innovationskraft. Die Transformation geht also immer weiter, und wir können die Richtung bestimmen.

Menschliche Bindung stärken

Eine Transformation wurde auch durch die Coronapandemie erzwungen, etwa das mobile Arbeiten. Nun kehren viele Unternehmen zu mehr Präsenz zurück. Wie hält es Covestro damit?

Von Saldern In unseren Laboren und in der Produktion war trotz Corona eine Präsenz erforderlich. In den Büros allerdings hatten wir komplett auf Homeoffice umgestellt. Jetzt streben wir Hybrid-Lösungen an, also etwa die Hälfte der Arbeitszeit im Büro und die Hälfte im Homeoffice. Denn wir merken, dass die Bindung der Menschen untereinander durch das mobile Arbeiten doch gelitten hat. Aber eine positive Entwicklung ist auch festzustellen: Während früher beispielsweise sechs Mitarbeitende im Inland in einem Büro saßen und sich eine Person aus dem Ausland online zuschaltete, sind seit den Coronazeiten häufig alle Teilnehmenden ausschließlich virtuell präsent. Dadurch erleben wir ein neues Miteinander auf Augenhöhe in den internationalen Meetings. Wir wollen das Beste aus beiden Welten zusammenführen. Unsere Mitarbeitenden geben uns das Feedback, dass sie das Arbeiten im Homeoffice sehr schätzen. Wir wollen nicht wie in anderen Unternehmen zurück zur Präsenzkultur, sondern fördern flexibles Arbeiten.

Eine weitere Transformation wird durch den demografischen Wandel erzwungen. In den nächsten acht Jahren gehen fast 30 Prozent Ihrer Mitarbeitenden in Rente. Wie ersetzen Sie diese?

Von Saldern Hier kommt wieder das eingangs erwähnte Employer Branding ins Spiel, damit wir bei der Talentsuche die besten Kräfte an uns binden können. Außerdem gestalten wir Nachfolgeprozesse so, dass ein Wissenstransfer stattfindet. Der Vorgänger arbeitet seinen Nachfolger oder seine Nachfolgerin konkret ein, wir sorgen also für eine Überlappung der Beschäftigungszeiten. Am Ende des Tages ist jeder von uns ersetzbar. Eine große Organisation verkraftet den Ausfall einzelner Mitarbeitender.

Was tun Sie, um für die Generation Z interessant zu sein?

Von Saldern Ein sehr gefragtes Thema ist flexibles Arbeiten, da machen wir verschiedene Angebote und evaluieren diese gerade. Unsere Unternehmenswerte und unsere Unternehmenskultur sind für die junge Zielgruppe sehr interessant. Im Bereich Ausbildung geben wir etwa eine Übernahmegarantie. Damit bieten wir von Anfang an einen sicheren und zukunftsorientierten Arbeitsplatz. Zudem haben wir, glaube ich, eine sehr attraktive Entgeltstruktur. Wichtig ist außerdem, dass der Mensch ins Team passt und zu der Führungskraft.

Disruption durch KI

Covestro beschäftigt bereits einen „Head of AI“. Welche Rolle spielt KI für die Personalarbeit der Zukunft?

Von Saldern Das ist eigentlich das Vielversprechendste, was ich in den vergangenen Jahren erlebt habe. Künstliche Intelligenz wird eine ungeheure Veränderung mit sich bringen. Ich sehe, dass die KI unglaublich viele Chancen bietet. Ich sehe auch ein ganzes Bündel an Risiken, die wir sehr ernst nehmen müssen. Eine Chance wäre etwa, dass ein KI-Chatbot den Mitarbeitenden Fragen beantwortet, und zwar individuell. Heute wird das über Ticketsysteme gelöst. Die Chatbots aber sind 24/7 verfügbar und geben maßgeschneiderte Antworten. Das entlastet HR ungemein, und es werden Ressourcen frei für gestaltende Arbeit. Wir erleben eine unglaubliche Disruption und die HR ist ein Transformationsbegleiter dieser Veränderung.

Und wo sehen Sie Risiken?

Von Saldern Ich bin persönlich überhaupt nicht davon überzeugt, dass wir die Auswahl von Personal und Personalentscheidungen generell der KI überlassen. Wenn wir die mit Daten füttern und dann mit Angaben aus LinkedIn oder den anderen sozialen Medien abgleichen, dann bekomme ich nur das, was ich eingespeist habe. Aber wo sind die Menschen, die Geschichten zu erzählen haben? Die Lebensläufe haben, die mich interessieren? Die fallen dann raus. Die Gefahr ist also, alles Außergewöhnliche zu übersehen. Und Risiken liegen natürlich darin, dass das Thema gehörige Angst macht.

Berechtigterweise?

Von Saldern Die Ängste und Sorgen müssen wir ernst nehmen. Spätestens bei Überlegungen zur beruflichen Zukunft der eigenen Kinder wird deutlich, wie unvorhersehbar die Entwicklung des Arbeitsmarkts ist. Was sollen wir unseren Kindern raten, was sie lernen sollen? Welche Berufe gibt es in 20 Jahren überhaupt noch? Es werden völlig neue Jobprofile entstehen. Außerdem liegt ein Risiko darin, die Autonomie der KI-Systeme in den Griff zu kriegen. Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die gelöst werden muss.

Was ist Ihre Botschaft an die HR-Community?

Von Saldern Wir haben schon oft gehört, „jetzt ist der Moment von HR“. Aber heute stimmt es wirklich: Der Moment von HR ist gekommen. Gerade im Kontext von KI können wir einen unglaublich wichtigen Beitrag leisten. Was können wir Personalerinnen und Personaler beitragen, um diese Transformation wirklich im Sinne der Mitarbeitenden zu gestalten? Wie adressieren wir Ängste und Nöte – aber auch gleichermaßen Chancen und Perspektiven? Wir transformieren das Unternehmen jedoch nicht nur mit Blick auf die Mitarbeitenden, sondern eben auch mit Blick auf den HR-Bereich selbst. Wir schaffen einen wesentlichen Wertbeitrag. Es geht hier um die Frage nach der Zukunft der Arbeit, die wir gemeinschaftlich gestalten müssen. Das ist ein Thema, das die HR-Community über Branchen und Industrien hinweg beschäftigt. Das gibt der HR ein starkes Gewicht bei diesem Prozess des Wandels. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führten Ralf Steuer und Dr. Charlotte Schmitz.