Gender Pay Gap: Frauen verdienen mehr
5 beliebte Argumente gegen den Gender Pay Gap und wie man sie widerlegt
Die Diskussion um den Gender Pay Gap sind wieder entbrannt: Neue Studien, Artikel und Berichte verdeutlichen, dass es noch immer Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männer gibt – in Deutschland und der Welt. Noch immer gibt es allerdings auch Zweifelnde, die den Gender Pay Gap leugnen oder seine Ursachen nicht in der Diskriminierung verorten. Wir haben fünf gängige Argumente gegen den Gender Pay Gap aufgelistet und zeigen, wie sie widerlegt werden können.
#Argument 1: Der Gender Pay Gap ist nur ein Mythos
„Frauen und Männer verdienen das gleiche, wenn man Faktoren wie Bildung und Berufserfahrung berücksichtigt.“
Generell lassen sich verschiedene Studien anführen, die einen Gender Pay Gap belegen. Eine kürzlich veröffentlichte Studie des Weltwirtschaftsforums in Zusammenarbeit mit der Beratungsfirma Willis Watson, die dem Handelsblatt vorliegt, zeigt: Frauen verdienen in ihrem Leben nur ein Viertel des Einkommens und Vermögens von Männern. Und: In Deutschland wird der diese Lebensverdienstlücke sogar größer, wenn der Beruf anspruchsvoller und komplexer wird. Darüber hinaus gibt es auch andere Untersuchungen, die Faktoren wie Bildung und Berufserfahrung berücksichtigen. Beispielgebend ist die aktuelle Studie des Statistischen Bundesamtes, die in diesem Zusammenhang von einem „bereinigtem“ Gender Pay Gap spricht und diesen auf 7 Prozent beziffert (der unbereinigte Gender Pay Gap liege dagegen bei 18 Prozent).
#Argument 2: Der Trugschluss der freiwilligen Entscheidung
„Frauen entscheiden sich freiwillig für schlechter bezahlte Jobs oder arbeiten weniger, um sich um die Familie zu kümmern.“
Entscheidungen werden nicht immer frei von äußeren Einflüssen getroffen – oft werden sie von Geschlechterstereotypen, Diskriminierung und ungleichen Chancen beeinflusst. Dies kann dazu führen, dass Frauen in schlechter bezahlten Berufen arbeiten oder weniger Arbeitszeit haben als Männer. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW) aus dem Jahr 2020 zur Corona-Pandemie bestätigt diesen Zusammenhang. Diese Studie vergleicht systemrelevante Berufe der „ersten Stunde“ mit Berufen „zweiter Stunde“.
Berufe der ersten Stunde umfassen Bereiche des Gesundheitswesens, der Grundversorgung, Pflege und Bildung. Sie wurden bereits bei Ausbruch der Pandemie als systemrelevant eingestuft und werden überwiegend von Frauen ausgeübt. Die Beschäftigten in diesen Berufen erhalten durchschnittlich deutlich weniger Lohn, Wertschätzung und Ansehen. Im Gegensatz dazu werden Berufsgruppen zweiter Stunde besser bezahlt, genießen höheres Ansehen und erfahren mehr Wertschätzung, obwohl sie zu Beginn der Pandemie als weniger systemrelevant galten. Zu diesen zählen u.a. Lehrkräfte, Versicherungs- und Finanzdienstleistungsberufe, Elektrotechnikberufe oder Steuerberatungen. Die Herausgeberinnen und Herausgeber der Studie kommen deswegen zu dem Schluss, dass „die Diskrepanz zwischen gesellschaftlicher Unverzichtbarkeit und tatsächlicher Entlohnung in Krisenzeiten besonders offensichtlich [wird].“
Einen weiteren Indikator für eine Ungleichbehandlung bildet der Frauenanteil in Führungspositionen. Laut einer weiteren, erst kürzlich erschienenen Studie des DIW liegt der Anteil von Frauen in den Vorständen großer Unternehmen nur bei 16 Prozent. Dieses Ungleichgewicht zeigt sich auch im internationalen Vergleich: So gibt Idrees Kahloon in einem jüngst erschienen Artikel im The New Yorker an, dass nur etwas mehr als ein Zehntel der CEOs in der Fortune-500-Liste Frauen sind. Immerhin – so der Autor – entspräche das einer Steigerung um das 26-fache. Im Jahr 2000 waren nur zwei Frauen in der Liste vertreten.
#Argument 3: Die Verwendung von Durchschnittsdaten
„Die Lohnlücke wird durch die Verwendung von Durchschnittsdaten verzerrt“
Dieses Argument ignoriert, dass der Durchschnittslohn ein wichtiger Indikator für strukturelle Ungleichheiten ist. Wenn der Durchschnittslohn zeigt, dass Frauen weniger verdienen als Männer, deutet dies auf strukturelle Ursachen hin, die eine genauere Betrachtung erfordern und geändert werden müssen. Drei Aspekte sind besonders hervorzuheben:
- Ehegattensplitting,
- Fehlende Vereinbarkeitsmodelle von Beruf und Familie, aber auch:
- dass Frauen oftmals Hemmungen haben, sich auf Führungspositionen zu bewerben.
Für den letzten Punkt eröffnet Elisabeth Bartke (DGFP) in einem aktuellen Beitrag im Handelsblatt eine geeignete Maßnahme. Unter Rückbezug auf eine australische Studie von 2022 sollten Unternehmen besser auf das Modell „Opt-out“ anstelle von „Opt in“ setzen: „In diesem Modell werden bei Auswahlverfahren alle qualifizierten Mitarbeitenden in den Auswahlprozess einbezogen, die sich nicht bewusst dagegen entscheiden.“ Anstelle von methodischen Diskussionen sollten wir also lieber konkrete Maßnahmen entwickeln, die mehr Gleichberechtigung ermöglichen.
#Argument 4: Frauen verhandeln schlechter
„Gehaltsverhandlungen sind Sache der Unternehmen. Hier müssen sich Frauen eben mehr durchsetzen.“
Tatsächlich haben Frauen nicht weniger Verhandlungsgeschick als Männer – sie haben nur weniger Verhandlungserfolg. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie aus dem Jahr 2021. Diese Studie führt ein Dilemma vor Augen, das mit Vorurteilen, Diskriminierung und Stereotypisierung zusammenhängt: Treten Frauen in Verhandlungen nämlich devot, einfühlsam und zurückhaltend auf, erfüllen sie eine gesellschaftliche Erwartungshaltung und handeln genderkonform. Damit schmälern sie allerdings ihren Verhandlungserfolg. Treten sie dagegen dominant, durchsetzungsstark und selbstbewusst auf, kann das ihren Erfolg ebenfalls schmälern, weil diese Verhaltensweisen als typisch männlich gelten und nicht genderkonform erscheinen. Dieses Dilemma führen die Autoren auf die Backlash-Hypothese zurück. Die Backlash-Hypothese beschreibt die negativen Auswirkungen, die bei genderinkongruenten Verhaltensweisen auftreten. Dieser Effekt kann sich aber auch nachteilig auf Männer auswirken. Das belegt eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2015, die kontextuellen Einflüsse auf den Verhandlungserfolg von Frauen und Männern untersucht hat. Wenn das Thema der Verhandlung zum Beispiel eher mit Frauen assoziiert wird, erzielten Männer schlechtere Ergebnisse.
Dass Verhandlungsgeschick bei Gehältern in Zukunft vielleicht noch weniger ausschlaggebend sein wird, bestätigt nun ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts 8 AZR 450/21. Hintergrund war eine Frau deren direkter Kollege mehr verdiente als sie. Die Begründung ihres Arbeitgebers, dass ihr Kollege besser verhandelt habe, wurde vom Gericht abgewiesen.
#Argument 5: Der internationale Vergleich
„Im internationalen Vergleich steht Deutschland immer noch gut dar.“
Einige Gegner des Gender Pay Gap argumentieren, dass die Lohnlücke in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern gering ist und dass Deutschland bereits Fortschritte bei der Schließung der Lücke gemacht hat. Dahinter steckt ein „whatabouism“, weil letztlich von der bestehenden Problematik ablenkt wird. Lässt man sich dennoch darauf ein, zeigt sich tatsächlich eine positive Entwicklung: Laut des Gender Gap Report aus dem Jahr 2022 des Weltwirtschaftsforums belegt Deutschland erstmals den zehnten Platz. Andererseits liegen Rwanda, Nicaragua und Namibia vor Deutschland. Verglichen mit unseren Ambitionen im Fußball gibt es also noch Luft nach oben.
Zusammenfassend werden viele Gründe angeführt, warum Frauen weniger verdienen als Männer – oder sogar bestritten, dass Lohnunterschiede überhaupt existieren. Diese Argumente arbeiten allerdings mit Klischees und Stereotypisierung. Damit wird versucht, die Verantwortung auf Seiten der Frauen zu verorten, statt strukturelle Veränderungen anzugehen.
HR trägt die Verantwortung, dass Mitarbeitenden in gleichen Positionen auch gleich bezahlt werden – unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe oder Herkunft – und kommt dieser Verantwortung auch nach. In zahlreichen Unternehmen wurden intensive Prozesse eingeleitet, Vorgaben ausgearbeitet und Monitoringsysteme eingeführt. Die Sozialpartner haben es ohnehin in ihren tariflichen Vergütungssystemen geregelt. Aber gerade dort, wo es keine einheitlichen Regelungen gibt, braucht es auch ein steuerndes Element über HR, das sich der Thematik annimmt.
Deswegen ist es wichtig, Argumente gegen einen Gender Pay Gap als fadenscheinig zu entlarven und zu widerlegen. Nur so erreichen wir eine inklusive Arbeitsumgebung, die nicht nur für eine gerechtere Gesellschaft wichtig, sondern auch für das Unternehmen vorteilhaft ist: Schließlich gibt es nichts Demotivierendes als das Gefühl, diskriminiert zu werden.
Den Beitrag verfasste Dr. Elias Güthlein.