Hinter die Fassade schauen

Eignungsdiagnostik bedeutet (nicht) automatisch mehr Vielfalt
Diversität ist längst mehr als ein Trend: Unternehmen erkennen, dass vielfältige Belegschaften nicht nur soziale Vorteile bringen, sondern auch Innovation und das wirtschaftliche Wachstum fördern. Doch dieser Vorteil tritt nur ein, wenn sich die HR-Managementprozesse auf eine faire und saubere Eignungsdiagnostik stützen.
Das Problem
Die Eignungsdiagnostik soll Objektivität gewährleisten, ist jedoch oft von Verzerrungen geprägt (Newman / Lyon 2009; Triguero-Sánchez et al. 2011). Diagnostische Fairness bedeutet, dass keine Gruppe benachteiligt wird – eine Anforderung, die in der Praxis häufig nicht erfüllt wird (Kanning 2017). Der „Adverse Impact“, die unbeabsichtigte Benachteiligung von Minderheiten, kann sogar durch standardisierte Tests entstehen.
Ein entscheidender Faktor bei der Förderung von Diversität ist unter anderem der Bewerbungsprozess. Schon die Formulierung der Stellenausschreibungen beeinflusst, welche Bewerbergruppen sich angesprochen fühlen (Flory et al. 2021). Auswahlverfahren, bei denen erfolgskritische Kriterien nicht im Voraus festgelegt wurden, benachteiligen oft Kandidat*innen mit untypischen beruflichen Hintergründen und verringern so die Vielfalt im Bewerberpool. Studien zeigen zudem, dasspsychometrische Tests, die im Assessment-Center (AC) eingesetzt werden, Kandidat*innen aus WEIRD-Ländern (Western, Educated, Industrialized, Rich, Democratic) bevorzugen (Fernandez 2019; Laajaj et al. 2019; Newson et al. 2020). Auch die Struktur eines AC kann zu systematischen Ungleichheiten führen, wenn Auswahlverfahren beispielsweise statt an den spezifischen Anforderungen der Stelle an einer bestimmten Zielgruppe ausgerichtet werden. Zudem können Beobachterfehler wie der „Similar-to-me Bias“ dafür sorgen, dass Bewerbende bevorzugt werden, die dem HR-Team ähnlich sind – in Geschlecht, Herkunft oder anderen Merkmalen (Bernardin et al. 2012).
Die Wissenschaft
Die Forschung zeigt, dass die Fokussierung auf die berufsrelevanten Kompetenzen die Gefahr von Verzerrung mindern kann. So lassen sich potenzielle Benachteiligungen durch die Formulierung klarer, anforderungsbezogener Kriterien systematisch reduzieren.
Bei der Umsetzung kommt es maßgeblich auf die Konzeption der Verfahren an. Ein breiter Methodenmix – beispielsweise simulationsbasierte Fallstudien neben kognitiven Tests – ermöglicht eine präzisere und fairere Bewertung der Bewerbenden (Bernardin et al. 2012; de Soete et al. 2012). Je näher die Methoden oder Fallbeispiele an den Anforderungen der Position sind, desto besser eignet sich das Verfahren, um auf die Kompetenzen der Bewerbenden zu schließen – ohne dabei vermeintliche Schlüsse aus äußerlichen Erkennungsmerkmalen rückzuschließen. Weitere strukturelle Maßnahmen wie Beobachterschulungen und standardisierte Auswertungen, die sich an den Richtlinien der DIN 33430 orientieren, tragen dazu bei, persönliche Vorurteile zu minimieren (Ployhart / Holtz 2008).
Die Praxis
In der Praxis können Unternehmen Diversität auf verschiedene Weise fördern. Auswahlverfahren sollten auf die tatsächlichen Anforderungen der Position zugeschnitten sein, um unnötige Barrieren zu vermeiden. Ein Methodenmix kann die Vielfalt stärken. Entscheidend ist, dass diese Methoden auf berufsrelevante Kompetenzen fokussieren und nicht auf oberflächliche Merkmale (Newman / Lyon 2009). Gezielte Schulungen der HR-Teams und eine standardisierte Auswertung von Ergebnissen unterstützen den fairen Auswahlprozess. Ein geschultes HR-Team, das sich der psychologischen Hintergründe unbewusster Verzerrungen bewusst ist, kann aktiver dazu beitragen, Diversität zu fördern und Vielfalt zu erhalten.
Dr. Jantje H. de Vries, Senior Consultant bei der Transformationsberatung HRpepper, Berlin
Verena Ledeboer, Consultant bei der Transformationsberatung HRpepper, Berlin
Literatur
Bernardin, H. J. et al. (2012): A comparison of adverse impact levels based on top‐down, multisource, and assessment center data: Promoting diversity and reducing legal challenges, in: Human Resource Management, 51 (3), 313-341
De Soete, B. et al. (2012): An update on the diversity-validity dilemma in personnel selection: A review, in: Psihologijske teme, 21 (3), 399-424
Fernandez, A. L. (2019): Modern neuropsychological tests for a diversity of cultural contexts, in: The Clinical Neuropsychologist, 33 (2), 438-445
Flory, J. A. et al. (2021): Increasing workplace diversity, in: Journal of Human Resources, 56 (1), 73-92
Kanning, U. P. (2017): Fairness und Akzeptanz von Personalauswahlmethoden, in: Krause, D. E. (Hg.): Personalauswahlmethoden, Wiesbaden, 271-299
Laajaj, R. et al. (2019): Challenges to capture the big five personality traits in non-WEIRD populations, in: Science Advances, 5 (7)
Newman, D. A. / Lyon, J. S. (2009): Recruitment efforts to reduce adverse impact: Targeted recruiting for personality, cognitive ability, and diversity, in: Journal of Applied Psychology, 94 (2), 298-317
Newson, M. et al. (2020): Go WILD, not WEIRD, in: Journal for the Cognitive Science of Religion, 6 (1-2), 80-106
Ployhart, R. E. / Holtz, B. C. (2008): The diversity-validity dilemma: Strategies for reducing racioethnic and sex subgroup differences and adverse impact in selection, in: Personnel Psychology, 61 (1), 153-172
Triguero-Sánchez, R. et al. (2011): HRM in Spain its diversity and the role of organizational culture: An empirical study, in: European Journal of Social Sciences, 26 (3), 389-407
Der Fachbeitrag ist zuerst erschienen in unserem Fachmagazin PERSONALFÜHRUNG Ausgabe 03/2025.
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