"Interne Stellenbesetzung ist die Königsdisziplin"
ZF-Personalvorständin und Arbeitsdirektorin Dr. Lea Corzilius zu der Herausforderung, sozialverträglichen Stellenabbau, Abgänge in Pension und interne Wechsel gleichzeitig zu managen
Das Traditionsunternehmen ZF Friedrichshafen AG steckt mitten in seiner womöglich tiefgreifendsten Veränderung. Für Dr. Lea Corzilius, Personalvorständin und Arbeitsdirektorin bei ZF, bedeutet dies, alle Register moderner und etablierter Personalarbeit zu ziehen, um das Unternehmen insbesondere in Deutschland erfolgreich mit neu zu gestalten. Im HR-Management von ZF prallt insofern der allgemeine Wunsch von Beschäftigten nach einem „Human‑Centric-Fokus“ auf Restrukturierungen, Kostensenkungen – auch in HR – und die Konzentration auf interne Kräfte.
Dr. Lea Corzilius ist seit August 2023 Personalvorständin und Arbeitsdirektorin bei der ZF Friedrichshafen AG. Sie verantwortet die Konzernressorts Personal, Recht und Compliance sowie Nachhaltigkeit. Corzilius hat Wirtschaftswissenschaften studiert und wurde an der Technischen Universität Dortmund zum Dr. rer. pol. promoviert. Zusätzlich absolvierte sie ein rechtswissenschaftliches Masterstudium (LL.M.). Corzilius begann ihre berufliche Karriere bei McKinsey & Company. 2017 wechselte sie zum Automobilzulieferer Hella. Dort wurde sie 2020 zur Geschäftsführerin berufen mit Verantwortung für das Ressort Personal / Arbeitsdirektorin sowie später zusätzlich für das Geschäftsfeld Lifecycle Solutions.
Frau Dr. Corzilius, Sie sind zum Zeitpunkt des Interviews ein Jahr Personalvorständin und Arbeitsdirektorin bei ZF. Wussten Sie Mitte 2023, was auf Sie zukommt?
Dr. Lea Corzilius Ich habe mich sehr bewusst für ein besonderes Unternehmen entschieden, das eine faszinierende Historie hat und bis heute in vielen Bereichen zur Weltspitze zählt. Natürlich waren die aktuellen Marktentwicklungen seinerzeit nicht in diesem Umfang absehbar, aber die grundlegenden transformativen Herausforderungen für unsere Branche bestanden bereits. Stiftungskonzerne gibt es in der deutschen Unternehmenslandschaft einige, aber ein Konzern in der Konstellation mit zwei Stiftungen als Eigentümerinnen und der Historie von ZF als Weltkonzern der Mobilitätstechnik ist einzigartig. Ich schätze diese Art von Unternehmen, weil sie uns verpflichten, in besonderem Maße strategisch zu denken und zu handeln – und das tun wir auch. Wir befinden uns als globales Unternehmen in einer tiefgehenden Transformation. Das ist eine fordernde Aufgabe für die Personalseite, aber auch für die weiteren von mir verantworteten Ressorts Recht, Compliance und Nachhaltigkeit.
Es geht um eine Transformation, bei der klar ist, dass ZF am Ende deutlich weniger Beschäftigte haben wird…
Corzilius Das ist eine Herausforderung – für die Unternehmensführung, für die Sozialpartnerschaft und für die Belegschaft. In den letzten Monaten haben wir hier konsequent die notwendigen Entscheidungen getroffen.
Um die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern sowie den Veränderungen im Mobilitätssektor und insbesondere bei der Elektromobilität Rechnung zu tragen, richten wir unsere Strukturen neu aus, um ertragsstarke Bereiche, zum Beispiel die Industrietechnik, Nutzfahrzeugtechnik oder Aftermarket, zu stärken und effizienter zu werden, etwa durch das Schaffen von Standortverbünden in Deutschland. Die Leitfrage ist: Sind wir so aufgestellt, dass wir neue Projekte gewinnen, die Beschäftigung sichern? Und auch den demografischen Wandel müssen wir genau im Blick haben. Denn die Menschen, die uns im nächsten Jahrzehnt verlassen werden, sind wichtige Wissens- und Kompetenzträger.
Bekenntnis zum Standort Deutschland
2023 wurde in Nordamerika fast die Hälfte aller Neueinstellungen von ZF realisiert. Der Anteil in Deutschland beträgt indes 14,2 Prozent.
Corzilius In der Tat: Wir besetzen vakante Stellen in Deutschland aktuell zum größten Teil intern. Wir haben in Deutschland allein in den letzten sechs Monaten über 100 000 Stunden in die Qualifizierung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter investiert, um diese Rotation zu ermöglichen. Mit dem Gesamtbetriebsrat haben wir eine Vereinbarung abgeschlossen über Reskilling und die Nutzung von Fördermitteln. Wir haben beispielsweise einen deutlich gestiegenen Bedarf im Bereich Mechatronik und Elektrotechnik und schulen an bestimmten Standorten Metallfacharbeiter um. Mit der E‑Cademy haben wir die bisher größte Qualifizierungsinitiative der Unternehmensgeschichte gestartet und bereits über 30 000 Kollegen und Kolleginnen im Thema Elektromobilität geschult. Und wir haben gerade eine große Qualifizierungsinitiative zum Thema Sustainability gestartet. Aktuell beschäftigen wir uns intensiv mit dem Thema Qualifizierungsgeld, das als neues Förderinstrument beschlossen wurde. Ich finde das ein hervorragendes Instrument zur beruflichen Weiterbildung, die intern stattfindet.
“Wettbewerbsfähig zu sein heißt dabei nicht zwangsläufig, die geringsten Lohnkosten zu haben, sondern die smartesten Fertigungskonzepte, die besten Entwicklungsprozesse und die beste Qualität.”
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Das zeigt: Wir bekennen uns auch weiterhin klar zum Standort Deutschland. Auch aus diesem Grund sind die Zielbildvereinbarungen entstanden, deren Grundlage der „Tarifvertrag Transformation“ aus dem Jahr 2020 ist. Sie sind Dialogformate mit konkretem Ergebnis, welche Kompetenzfelder am Standort abgedeckt, welche Produkte entwickelt und gefertigt werden sollen und welche Investitionen das erfordert. Wir wollen weiterhin bis zu 30 Prozent in Deutschland investieren, wenn wir hierzulande wettbewerbsfähig sind. Wettbewerbsfähig zu sein heißt dabei nicht zwangsläufig, die geringsten Lohnkosten zu haben, sondern die smartesten Fertigungskonzepte, die besten Entwicklungsprozesse und die beste Qualität. Direkt hier vor der Haustür konnten wir für den Standort Friedrichshafen das TraXon-Getriebe gewinnen – nicht zuletzt, weil die Belegschaft ihren Beitrag leistet, beispielsweise durch die Zustimmung zu veränderten Arbeitszeit- und Schichtmodellen.
Ein „Zielbild“ haben Sie auch für den Standort Saarbrücken vereinbart. Können Sie darauf näher eingehen?
Corzilius Wie auch an anderen Standorten, geht es in Saarbrücken um Schicht- und Arbeitsmodelle, also um Fragen der Arbeitsorganisation. Dort wurde zudem ein Zukunftsfonds errichtet, in den die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen einen bestimmten Teil ihrer Vergütung einzahlen, um Kostenlücken im Vergleich zu anderen Standorten schließen zu können. Der Fonds kommt bereits zum Einsatz, um hier neue Produkte der Elektromobilität anzusiedeln.
Sie haben aber auch Standorte dichtgemacht. Welche Leitplanken wurden für die Schließungen bisher vereinbart?
Corzilius Am Produktionsstandort in Gelsenkirchen etwa haben wir knapp 200 Mitarbeitende – bei rund 54 000 insgesamt in Deutschland. Man muss sich in der medialen Repräsentation auch diese Größenordnung vor Augen führen. In Gelsenkirchen wollten wir eine elektrische Lenkung für Nutzfahrzeuge lokalisieren, konnten aber keine Aufträge dafür gewinnen. Folgerichtig haben wir für Gelsenkirchen einen Interessenausgleich und Sozialplan vereinbart und intensiven Kontakt mit zahlreichen Unternehmen vor Ort hergestellt, um die Beschäftigten bei der Suche nach neuen Jobs zu unterstützen. Gelsenkirchen ist Teil einer Region, die stark vom Strukturwandel betroffen ist. Wir tragen auch hier Verantwortung und begleiten das sehr sorgfältig.
Lösungen gemeinsam mit dem Betriebsrat finden
Die Konzernführung spricht von 11 000 bis 14 000 weniger Beschäftigten bis 2028. Dabei sollen die Standorte konsolidiert werden. Was heißt das für die Beschäftigten?
Corzilius Als einer der größten Automobil- und Industriezulieferer der Welt haben wir die Verantwortung für rund 169 000 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Damit wir weiterhin sichere Arbeitsplätze gewährleisten können, ist es unsere Pflicht, verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen, um alle unsere Standorte wettbewerbsfähig aufzustellen, die Personalplanung an den zu erwartenden Bedarf anzupassen und uns auf Produkte zu fokussieren, die ZF ein langfristig erfolgreiches Wirtschaften ermöglichen. Schauen wir auf Deutschland, so haben wir hier aus der Vergangenheit heraus eine sehr kleinteilige Standortlandschaft, was Ineffizienzen mit sich bringt. Wenn wir beispielsweise nahe beieinander liegende Standorte zusammenfassen, so können wir die Verwaltungsstrukturen verschlanken. Was die Reduzierungen für die einzelnen Standorte bedeutet, wird nun konkretisiert. Das soll so weit möglich sozialverträglich geschehen, indem wir die demografische Struktur der Belegschaft und die Fluktuation nutzen.
“Damit wir weiterhin sichere Arbeitsplätze gewährleisten können, ist es unsere Pflicht, verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen, um alle unsere Standorte wettbewerbsfähig aufzustellen, die Personalplanung an den zu erwartenden Bedarf anzupassen und uns auf Produkte zu fokussieren, die ZF ein langfristig erfolgreiches Wirtschaften ermöglichen.”
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Was erhoffen Sie sich von Ihren Betriebsräten und der IG Metall, mit der es gerade Tarifverhandlungen gibt?
Corzilius ZF kann sich nicht von der Kosteninflation und den schwierigen Rahmenbedingungen in der Automobilbranche abkoppeln, etwa dem verzögerten Anlauf der E‑Mobilität und hohen Produktionskosten vor allem am Standort Deutschland. Unsere unternehmerische Verantwortung ist es, ZF zukunftsfähig auszurichten. Es entspricht unserer ZF-Kultur, Lösungen gemeinsam mit der Arbeitnehmervertretung zu finden. Daher können wir die Arbeitnehmervertretung nur einladen, sich im Sinne einer funktionierenden Sozialpartnerschaft mit uns an den Verhandlungstisch zu setzen, um unsere Zukunft gemeinsam aktiv zu gestalten. Denn auch die Betriebsräte kennen ZF und die Branche gut und wissen genau, dass wir handeln müssen.
Beim Umbau will der Konzern die demografische Struktur der Belegschaft nutzen. Gleichzeitig betonen Sie, die älteren Beschäftigten seien sehr wichtige Wissens- und Kompetenzträger. Wie passt beides zusammen?
Corzilius Das ist eine riesige Herausforderung für die Personalarbeit. Wenn wir sagen, der demografische Faktor spielt uns in die Karten, dann ist das im Großen und Ganzen richtig. Daher gilt es, das Wissen der Kolleginnen und Kollegen, die ZF verlassen, bestmöglich zu transferieren, sodass die Teams auch nach deren Weggang noch davon profitieren. Und es gibt noch einen anderen Aspekt dabei: Person A geht in Pension, war Experte für Steuerthemen. Person B ist noch da, ist Controller. Kann ich B vielleicht so weiterqualifizieren, dass er A nachfolgen kann? Interne Stellenbesetzung ist die Königsdisziplin der Rekrutierung. Wir müssen sicherstellen, dass Kompetenzen erhalten bleiben und intern weiterentwickelt werden. Personalberater anzurufen und sie mit den entsprechenden Kriterien auf Kandidatensuche zu schicken, ist dagegen vergleichsweise einfach.
“Interne Stellenbesetzung ist die Königsdisziplin der Rekrutierung. Wir müssen sicherstellen, dass Kompetenzen erhalten bleiben und intern weiterentwickelt werden.”
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Was bringt in Zeiten des tiefgreifenden Wandels Ihre Online-Lernplattform „Skills Hub“?
Corzilius Skills Hub ist sehr breit angelegt, um unseren Beschäftigten Wissen in verschiedenen Themenbereichen zu vermitteln. Darüber hinaus gibt es vor Ort Qualifizierungsinitiativen, beispielsweise in Saarbrücken. Hier bieten wir Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ohne Ausbildung an, eine Berufsausbildung nachzuholen. Um das anzustoßen, braucht es passende Lernangebote, und es muss Initiative von beiden Seiten kommen, also etwa der Schichtführer die Kolleginnen und Kollegen aktiv ansprechen.
Das Tarifvertragsgefüge in Deutschland ist immer mal wieder Gegenstand der Kritik von Arbeitgebern, die teils grundsätzlicher Natur ist oder moniert, Tarifverträge seien nicht flexibel genug. Wie ist Ihre Position?
Corzilius Der Tarifvertrag im Allgemeinen und das Konstrukt, was wir speziell als tarifgebundenes Unternehmen haben, ist ein Riesenvorteil. Natürlich schauen wir auf die Tarifverhandlungen mit einer gewissen Grundanspannung. Gleichwohl ist die Tarifbindung ein hohes Gut, da sie durch ihre kollektiven Regelungen Transparenz und Einheitlichkeit schafft. Gleichzeitig lässt sie auch Raum für betriebliche Flexibilität, beispielsweise mit dem tariflichen Zusatzgeld „T‑Zug“. Mit T‑Zug können Kolleginnen und Kollegen, die in Schicht arbeiten oder Angehörige pflegen, auf 27,5 Prozent eines Monatsgehalts verzichten und stattdessen acht freie Tage bekommen. Dieses Modell haben wir mit einer Wahloption für sechs freie Tage in diesem Jahr ausgeweitet und für alle Beschäftigten in Deutschland geöffnet – inklusive Vorstand und Führungskräfte. Und das mit großem Erfolg: 33 000 Kolleginnen und Kollegen haben mitgemacht. T‑Zug ist ein Beispiel für ein tarifliches Flexibilisierungsinstrument, von dem wir profitieren.
Im Wandel attraktiv bleiben
Wie sehen Sie vor dem Hintergrund der Veränderungen bei ZF den Konzern als Arbeitgeber?
Corzilius Personalabbau, Transformation und Effizienzverbesserungen sind nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist, dass wir weltweit eine Belegschaft von nahezu 169 000 Kolleginnen und Kollegen haben, die an der Mobilität der Zukunft arbeiten. Wir sind der führende Nutzfahrzeugzulieferer weltweit, im Aftermarket sind wir an zweiter Stelle, und wir haben auch andere spannende Bereiche wie die Windkraft. Wenn ich irgendwo in der Welt unterwegs bin und frage, wofür Deutschland und speziell Baden-Württemberg stehen, dann ist das Automobil ganz oben mit dabei.
Natürlich sind bestimmte Automobilhersteller immer noch attraktive Arbeitgeber, aber die Gesamttendenz der jungen Generation, was die abnehmende Attraktivität der Automobilindustrie angeht, macht mir Sorgen. Diese Industrie und unsere Branche sind faszinierend – und ja, wir stehen vor großen Herausforderungen. Gerade das macht die Personalarbeit hier jedoch besonders spannend. Wenn ich bei uns Technologien wie Brake-by-Wire, Steer-by-Wire oder einen Elektromotor ohne seltene Erden als Lösungen für die Mobilität der Zukunft sehe, finde ich kaum eine andere Branche vergleichbar attraktiv. Und dann höre ich, da kommt eine Generation, die aufs Auto verzichten und nicht einmal mehr einen Führerschein machen will. Ich dagegen habe den Eindruck, dass Mobilität und speziell das Automobil die Menschen weiterhin fasziniert. Das gibt mir positiven Antrieb.
Im vergangenen Jahr haben Sie über tausend Stellen intern besetzt und damit auch transformationsbedingte personelle Veränderungen aufgefangen. Wie attraktiv ist ZF auf dem externen Arbeitsmarkt?
Corzilius Wir haben Stellen, die wir extern ausschreiben. Aber erst nach sehr sorgfältiger Abwägung, wenn wir intern dafür nicht qualifizieren können. Mein größeres Augenmerk liegt darauf, nach innen das klare Zeichen zu geben, dass wir trotz Transformation, Strukturwandel und veränderter Wertschöpfung sehr attraktive Karrieren anbieten. In Summe haben wir zwar weniger extern zu besetzende Stellen, aber entscheidend ist, was unseren Ruf am Markt ausmacht. Wir haben klar formulierte Stellenanzeigen und geben schnell Feedback zu Bewerbungen. Wir führen idealerweise innerhalb eines Tages zwei, drei Interviews durch und kommen schnell mit Eckpunkten, die anschließend in einen möglichen Vertrag übersetzt werden. Wir sind schnell und nutzen das als Multiplikator. Ich glaube nicht, dass es ein Qualitätsmerkmal ist, möglichst viele Stellen extern ausgeschrieben zu haben.
“Mein größeres Augenmerk liegt darauf, nach innen das klare Zeichen zu geben, dass wir trotz Transformation, Strukturwandel und veränderter Wertschöpfung sehr attraktive Karrieren anbieten.”
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Strategische HR-Ziele im Blick behalten
Nicht nur die produzierenden Standorte von ZF in Deutschland sind von tiefgreifenden Veränderungen betroffen, sondern auch die Zentrale in Friedrichshafen mit 5000 Mitarbeitenden und Ressorts wie Forschung und Entwicklung – und auch Personal. Welche Vereinbarungen haben Sie zur Zukunft der Zentrale getroffen?
Corzilius Wieso soll die Zentrale von Veränderungen ausgeschlossen sein? Für die Entwicklungs- und Verwaltungsfunktionen haben wir eine Zielbildvereinbarung mit anderen Schwerpunkten als im Produktionsumfeld abgeschlossen. Um die Kosten bei ZF in den Griff zu bekommen, nehmen wir natürlich auch das Personalressort nicht aus. Die Werke müssen alljährlich ihre Produktivität um drei bis fünf Prozent verbessern. Diese Hausaufgabe gilt auch für meinen eigenen Bereich, beispielsweise durch Standardisierung, Zentralisierung oder auch Shared Services.
Inwieweit lassen die aktuellen Themen, die Sie als Personalleiterin beschäftigen, noch Raum für andere strategische Ziele, die Sie sich gesetzt haben, also „wirklich digital werden“, Geschwindigkeit aufnehmen, Einfachheit und, was gerade in Deutschland bei ZF ein Thema ist, mehr Frauen in Führungsrollen bringen?
Corzilius Kosten zu sparen heißt nicht, diese Themen zu vernachlässigen, im Gegenteil. In meinem Ressort hatte ich in den letzten Monaten hundert Prozent mehr Beförderungen in den außertariflichen Bereich zu Female Managers. Nicht in Ermangelung von kompetenten Männern, sondern weil wir geschaut haben, wo es Kolleginnen gibt, die seit Jahren einen super Job machen. Und wenn es in bestimmten Bereichen eine zum Teil höhere Fluktuation von weiblichen Führungskräften gibt, müssen wir uns das genau anschauen.
“Kosten zu sparen heißt nicht, diese Themen zu vernachlässigen, im Gegenteil”
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Vor einiger Zeit war ich in der Wissenswerkstatt Friedrichshafen, die ZF vor 15 Jahren mit initiiert hat und in der Jugendliche mit MINT-Fächern vertraut gemacht werden. Im Jahr 2023 waren in der Wissenswerkstatt 8000 Schüler und Schülerinnen, davon 50 Prozent Mädchen und junge Frauen. Das ist auch eine Möglichkeit, in der MINT-Bildung früh anzufangen. Wir haben bei ZF ein Vorstandsteam, das davon überzeugt ist, dass diverse Teams bessere Ergebnisse bringen, und das in ihren Teams fördern. Auch über materielle Anreize haben wir das verankert. Wenn Sie also fragen, ob das Konzernziel, den Frauenanteil zu erhöhen, vor dem Hintergrund des Wandels bei ZF hinten runterfällt, dann kann ich nur sagen: im Gegenteil.
Den Zeitraum für Ihr Ziel, den Anteil weiblicher Führungskräfte in Deutschland auf mindestens 20 Prozent zu erhöhen, haben Sie aufgrund restriktiver externer Einstellungen von 2028 auf 2030 erweitert…
Corzilius Ja, weil es einfach ein viel aufwendigeres Geschäft ist, das allein intern zu bewerkstelligen. Mit externen Einstellungen wäre das Ziel einfacher zu erreichen. Das heißt, wir haben aktuell deutlich weniger Durchmischung, was den Anteil von Frauen und Männern angeht.
Friedrichshafen bleibt Hauptstandort
Ich habe den Eindruck, dass ZF sich, auch was die internationale Gewichtsverteilung von Regionen angeht, stark verändert. Wird die internationale HR-Arbeit bei ZF in Zukunft anders aussehen?
Corzilius Die Karrieren in HR werden deutlich breiter und vielfältiger werden. Als HR-Manager einen Karriereschritt an einem produzierenden Standort verbracht zu haben, ist aus meiner Sicht künftig ein Muss. Und es ist für mich extrem relevant, dass die Kollegen und Kolleginnen in HR einen internationalen Einblick gewinnen und umgekehrt internationale Kolleginnen und Kollegen hier in der Zentrale sind. Hinzu kommt, dass in HR Kolleginnen und Kollegen arbeiten, die aus anderen Bereichen wie etwa Nachhaltigkeit, Finanzen oder Operations kommen. Aber das hat nichts mit einem Verlust der Relevanz zentraler Personalarbeit von Deutschland aus zu tun. Im Gegenteil, wir haben in Deutschland beispielsweise 6000 unterschiedliche Betriebsvereinbarungen und die Riesenaufgabe vor der Brust, diese zu vereinheitlichen. Wir haben unterschiedliche zentrale HR‑IT-Systeme, die aus der Wartung fallen, und auch unsere Personalstrategie und das globale Talentmanagement sind hier in Friedrichshafen verankert. Das ist unser Hauptstandort, und das wird auch so bleiben.
Auch in anderen Unternehmen stellen sich massiv Transformations- und Restrukturierungsthemen. Gleichzeitig gibt es ein durch jüngere Generationen geprägtes Werteverständnis, das den Human-Centric-Fokus in HR stärkt, also weg vom Kollektiven hin zu Individualität. Worin besteht aus Ihrer Sicht heute wertstiftende HR-Arbeit?
Corzilius Ich habe mindestens zwei Hüte auf: den einen als Arbeitsdirektorin beziehungsweise Personalvorstand, den anderen als Vorstandsmitglied in einem Team, das das gesamte Unternehmen strategisch nach vorne bringen will. Mein primärer Ansatz ist, die strategischen Entscheidungen mitzugestalten. Dann kann ich daraus ableiten, welche Konsequenzen das für Tarifverträge, Arbeitszeit- und Vergütungsmodelle, Homeoffice-Regelungen und so weiter hat. Die New-Incoming-CHROs, mit denen ich im Austausch bin, haben ein anderes Verständnis von Wertkreierung als zu Zeiten, in denen der Geschäftsbereich noch Personaladministration hieß. Wesentlich ist doch die Frage, wie wir agieren, um in unserem Unternehmen Wert zu kreieren. Wenn ich auf unsere Gewinn- und Verlustrechnung schaue, ist dort der größte Posten Material – und danach kommt Personal! Wenn es im Personalbereich heißt, „We want to develop our People“, denke ich: ja, das ist elementar. Aber verstehen wir in HR auch die Schichtmodelle und deren finanzielle Implikationen? Wir managen in HR gemeinsam mit dem Werkscontroller und Werksleiter unsere Ertragssituation. Wenn wir das auf diesen Ebenen übereinander bekommen, dann haben wir, denke ich, einen großen Schritt nach vorne gemacht.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führten Ralf Steuer und Rainer Spies.