Kognitive Leistung = beruflicher Erfolg?

Intelligenztests gehören (nicht) in die Personalauswahl

Über die Methoden zur Auswahl von geeigneten Mitarbeitenden wird seit Jahrzehnten heiß diskutiert. Die Frage, die Personalverantwortliche dabei immer wieder umtreibt, ist: Brauchen wir für eine gute Personalauswahl einen Intelligenztest?

Das Problem

Die Diskussion um Intelligenztests wurde viele Jahre führend durch die Metaanalyse von Schmidt und Hunter (1998) beeinflusst. Sie trug die Vorhersagekraft verschiedener Auswahlverfahren in Bezug auf die spätere Arbeits- beziehungsweise Ausbildungs- oder Trainingsleistung aus 85 Jahren Forschung zusammen. Knapp 20 Jahre später veröffentlichte Schmidt (2016) selbst eine Überarbeitung, die trotz einiger Korrekturen das zentrale Ergebnis der Überlegenheit kognitiver Testverfahren in der Vorhersage beruflicher Leistung – über alle anderen Methoden hinaus – überragend bestätigte. Mit einer Vorhersagekraft von r=.68 führt eigentlich kein Weg an ihrem Einsatz vorbei – und in der Kombination mit Integritätstests oder strukturierten Interviews können laut Schmidt Varianzaufklärungen von bis zu 60 Prozent erreicht werden. Sackett et al. (2022) beleuchten die Ergebnisse von Schmidt und Hunter jedoch kritisch. In ihrer revidierten Fassung der Metaanalyse zeigen sie, dass die hohe Validität durch spezifische Bedingungen zustande kam. Konkret bemängeln Sackett et al. die (Daten‑)Qualität der herangezogenen Metaanalysen (welche oftmals aus der Mitte des letzten Jahrhunderts stammen), die Auswahl der Stichproben und die Korrekturmaßnahmen der Validitätsschätzungen. So wurden etwa die kognitiven Tests in der Gesamtbevölkerung durchgeführt, während die Ergebnisse der Assessment-Center lediglich von Kandidat*innen vorlagen, die bereits eine Vorauswahl durchlaufen hatten. Diese Varianzeinschränkung in der AC-Stichprobe vermindert im Ergebnis den gefundenen Zusammenhang.

Die Wissenschaft

Sackett et al. berücksichtigen in ihrer Revision neuere Metaanalysen, schließen solche mit mangelnder Datenqualität aus und analysieren systematischer die Varianzeinschränkung der Stichproben, was zu einer stimmigeren Korrektur der Validitäten führt. Alle Methoden zeigten sich in ihrer Vorhersagekraft gemindert. Die Neugewichtung der Daten ergab zudem, dass kognitive Fähigkeitstests ihre herausragende Position verlieren, mit r=.31 jedoch immer noch eine gute Vorhersage von Berufserfolg treffen können. Strukturierte Einstellungsgespräche stiegen in ihrer Validität auf r=.42, was einer guten bis sehr guten Vorhersage entspricht. Es kann also davon ausgegangen werden, dass eine Kombination aus einem Intelligenztest und einem strukturierten Einstellungsinterview noch immer eine sehr hohe Vorhersagegenauigkeit aufweist.

Die Praxis

Was bedeuten die Ergebnisse für die Praxis der Personalauswahl? Dass qualitativ hochwertige Personalauswahlverfahren sehr nützlich sind, da sie die Arbeitsleistung gut vorhersagen können – insgesamt jedoch etwas geringer als noch von Schmidt und Hunter angenommen. Den neuen Goldstandard stellen laut Sackett et al. strukturierte, anforderungsbezogene Interviews dar. Intelligenz hat weiterhin eine hohe, wenn auch etwas geringere Vorhersagekraft als bisher angenommen. Passend steigt die Vorhersagekraft von Intelligenz mit zunehmender Komplexität des Berufs. Dennoch sollte der Einsatz im Einzelfall kritisch geprüft und nur mit einem konkreten Anforderungsbezug eingesetzt werden, da oft nicht alle Intelligenzfacetten für eine Stelle relevant sind. Weiterhin ist der erforderliche Ausprägungsgrad kognitiver Fähigkeiten zu berücksichtigen. Intelligenztests gehören also weiterhin in die Personalauswahl. Ihr Einsatz erhöht jedoch nicht – wie bisher angenommen – prinzipiell die Güte des Auswahlprozesses. Entscheidet sich eine Organisation für den Einsatz von Intelligenztests, gilt es, spezifisch geforderte Intelligenzfacetten abzuprüfen. Die Testdurchführung und ‑rückmeldung sollte zudem fair und möglichst transparent gestaltet werden, um die Akzeptanz unter den Kandidat*innen zu steigern (Weinert 2015).

Marie Mylord, Consultant bei der Transformationsberatung HRpepper, Berlin

Annika Olofsson, Principal Consultant bei der Transformationsberatung HRpepper, Berlin

Literatur

Sackett, P. R. et al. (2022): Revisiting meta-analytic estimates of validity in personnel selection: Addressing systematic overcorrection for restriction of range, in: Journal of Applied Psychology, 107 (11), 2040-2068

Schmidt, F. L. / Hunter, J. E. (1998): The validity and utility of selection methods in personnel psychology: Practical and theoretical implications of 85 years of research findings, in: Psychological Bulletin, 124 (2), 262-274

Schmidt, F. L. (2016): The validity and utility of selection methods in personnel psychology: Practical and theoretical implications of 100 years of research findings, Working Paper

Weinert, S. (2015): Verbreitung und Akzeptanz eignungsdiagnostischer Verfahren. In: Weinert, S. / Stulle, K. P. (Hg.): Executive Assessment, Berlin / Heidelberg, 27-42

Der Fachbeitrag ist zuerst erschienen in unserem Fachmagazin PERSONALFÜHRUNG Ausgabe 07-08/2024

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