Leadership Fiction: Eine Sandwich-Position der besonderen Art

Stress ist (nicht immer) schädlich

Fiktive Figuren aus TV‑Serien, Filmen oder Romanen helfen uns, über Führung zu lernen – darum geht es in unserer Kolumne „Leadership Fiction“. In dieser Folge schauen wir in die Serie „The Bear“ hinein.

„The Bear“ handelt vom aufstrebenden Küchenchef Carmy, der nach dem Suizid seines Bruders dessen heruntergewirtschafteten Sandwichladen übernimmt. Gemeinsam mit der talentierten Köchin Sydney möchte er das Restaurant neu aufbauen. Das bestehende Team, das teilweise aus Familienmitgliedern besteht, hat kaum Ahnung von gehobener Gastronomie und steht dieser sehr kritisch gegenüber. Darüber hinaus ist in der Familie das eine oder andere Trauma nicht aufgearbeitet, die Zusammenarbeit grenzt an Chaos, das Gebäude ist baufällig, und Schulden wurden in der Vergangenheit mit kriminellen Machenschaften getilgt. Die neue Führung, die eigentlich niemand haben wollte, hat also einiges zu tun.

Leadership Lesson #1: Geteilte Führung bedeutet doppelte Power, aber auch viel Arbeit.

Als Carmy das Restaurant übernimmt, fängt er schnell an, Prozesse zu optimieren und das kulinarische Konzept anzupassen. Er stellt Sydney ein, eine ambitionierte Spitzenköchin mit unternehmerischen Fähigkeiten. Doch Sydney ist unerfahren, und der Weg zur geteilten Führung auf Augenhöhe ist steinig. Carmy überträgt ihr schnell ungeliebte Managementaufgaben und ernennt sie zur Sous-Chefin, damit er sich auf die kreative Vision konzentrieren kann. Er beauftragt sie, aus dem Team eine professionelle Küchenbrigade zu machen. Anfangs scheitert sie wegen mangelnder Erfahrung, Akzeptanz und Unterstützung durch ihren Co-Lead. Mit der Zeit gelingt aber durch engeren Austausch im Führungsduo eine Verbesserung der Abläufe. Sydney gewinnt das Vertrauen des Teams, indem sie ihre fachlichen Fähigkeiten zeigt, eine persönliche Bindung aufbaut und so an Respekt gewinnt.

Shared Leadership macht nicht nur Sinn, wenn Menschen in Teilzeit arbeiten, sondern es kann ein Modell sein, das Führungskräfte mit verschiedenen Stärken zu einem besseren Führungsteam vereint. Es kann auch dazu dienen, junge Führungskräfte on the Job auszubilden. Aber: Anders als Carmy es anfangs tut, ist es wichtig, die unerfahrenere Person auf diesem Weg zu befähigen.

Leadership Lesson #2: Entwickle Potenziale, dann entwickelt sich das Business.

Besonders Spaß macht es, die Transformation von einem schäbigen Bistro hin zum gehobenen Etablissement zu beobachten. Dies passiert nicht, indem das ursprüngliche Team aus dem Sandwichladen ausgetauscht wird, sondern durch die gezielte Mitarbeitendenentwicklung oder – wie wir es heute nennen würden – durch Upskilling.

Carmy und Sydney erkennen individuelle Talente und fördern diese. So wird Marcus, der bisher Brötchen gebacken hat, in seiner Begeisterung für Patisserie bestärkt. Er darf kreative Dessertkreationen entwickeln und wird zur Weiterbildung nach Kopenhagen geschickt. Die Köchin Tina besucht eine gehobene Kochschule, und Richie lernt in einer Sternerestaurant-Hospitation exzellenten Service. Das Führungsduo schafft es, das mäßig begeisterte Team mitzunehmen, indem es in Potenziale investiert und die individuellen Beiträge jedes Teammitglieds ernst nimmt. Das zeigt sich darin, dass sich in der Küche alle (auch die Tellerwäscher) gegenseitig mit „Chef“ (im Sinne von Chef de Cuisine) ansprechen. Diese Wertschätzung fördert Motivation und Teamgeist. So steigt der Glaube der Teammitglieder an ihre eigenen Fähigkeiten, und der Change von einem Sandwichladen zum Gourmetrestaurant wird möglich.

Loyalität ist unbezahlbar. Menschen zu entwickeln, die mit dem Geschäft verbunden sind, kann sinnvoller sein, als neue Teams aufzubauen. Insbesondere in Zeiten von Fachkräftemangel ist es für jede Führungskraft ratsam, sich selbst auch als Personalentwickler*in zu verstehen.

Leadership Lesson #3: Arbeite an dir selbst, und lerne, dich zu entschuldigen.

In keiner Folge läuft es reibungslos. Zwei Herausforderungen bleiben präsent: ständige Konflikte und lautstarke Streitereien sowie die schwierige Familiengeschichte. Carmy und seine Geschwister wuchsen in einem toxischen, chaotischen Umfeld auf. Die Ablehnung durch seinen älteren Bruder und dessen Suizid hinterließen tiefe Wunden. Zudem erlebte Carmy während seiner Ausbildung eine extrem belastende Führungskraft, die mit Druck und Versagensangst arbeitete.

Erst in einer Selbsthilfegruppe beginnt Carmy, sich besser zu verstehen. Sein persönliches Gepäck trifft auf die stressige Welt der gehobenen Gastronomie, die Zeitdruck, Anspruch an exzellente Qualität und ständige Innovation vereint. Trotz der Belastung wird sich in „The Bear“ aber viel entschuldigt. Carmy und Sydney entwickeln eine Geste für Konflikte: Indem sie sich in Konfliktsituationen während des Küchenbetriebs mit der Hand über das eigene Herz reiben, signalisieren sie Einsicht und entschärfen Spannungen, wenn keine Zeit für Gespräche bleibt. Die persönlichen und familiären Probleme bedrohen dennoch den Erfolg der Transformation. Es wird deutlich: Führungskräfte und Teams sollten sich immer mit ihren eigenen „Dämonen“ auseinandersetzen, um langfristig wirksam zu sein.

„The Bear“ ist ein großartiges Lehrstück in Sachen Führung. Die Protagonisten sind alles andere als perfekt, doch aus ihren Fehlern lernen wir als Zuschauer*innen eine Menge. Die Serie zeigt, dass Führung nicht allein von Hierarchien und Kontrolle abhängt, sondern von der Förderung von Potenzialen, klarer Kommunikation und der Bereitschaft zur Selbstentwicklung. Würde ich diese Serie allen Führungskräften empfehlen? Wie Carmy sagen würde: „Yes, Chef!“

Johanna Voigt, Corporate-Learning-Beraterin und Führungskräfteentwicklerin bei HRpepper, Berlin