"Sicherheitsüberprüfung für alle – ohne Abstriche"
Helen Albrecht, Leiterin Zentrale Verwaltung im Bundeskriminalamt, über werteorientierte Führung im Zeichen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.
Bis 2026 benötige das Bundeskriminalamt 60 Prozent neue Mitarbeitende und Führungskräfte, sagt Helen Albrecht, die Leiterin Zentrale Verwaltung. Problem: In einem hochsensiblen Arbeitsumfeld wie dem BKA muss das Personal besonders sorgfältig ausgewählt werden – an der Sicherheitsüberprüfung kommt hier niemand vorbei. Wie Personal- und Organisationsprozesse dennoch schlanker und schneller werden können, hat die Juristin seit ihrem Amtsantritt 2018 gezeigt.
Albrecht ist seit Oktober 2018 Leiterin Zentrale Verwaltung im Bundeskriminalamt. Die Volljuristin machte ihr Erstes Staatsexamen an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und ihr Zweites Staatsexamen im Hessischen Justizministerium mit Stationen in der Staatsanwaltschaft Limburg und im Polizeipräsidium Westhessen. Als Referentin Steuerrecht startete sie bei einer Tochter der Deutschen Bahn (DB) und wechselte nach einigen Jahren ins Personalfach. Albrecht leitete das Personalmanagement der DB Netz in Erfurt und Frankfurt / Main, die Grundsätzeabteilung Mitarbeiterentwicklung der DB AG sowie Führungskräfteentwicklung, -betreuung und Talentmanagement der DB Netz. Währenddessen absolvierte die 43 Jährige eine Coachingausbildung.
Frau Albrecht, starten wir mit etwas Persönlichem: Wie sind Sie zum Bundeskriminalamt gekommen?
Albrecht Ich lese gerne Stellenanzeigen. Als ich mal wieder lange im Zug saß zwischen Frankfurt und Berlin, habe ich die Stellenanzeige vom BKA gesehen. Erst einmal war ich überrascht, dass die Funktion überhaupt extern ausgeschrieben wird. Und dann war ich total begeistert, weil die Stelle inhaltlich alles zusammenbrachte, was ich bei der Deutschen Bahn viele Jahre lang in ganz unterschiedlichen Führungsfunktionen nacheinander gemacht habe: operatives Personalmanagement und strategisches Personalmanagement, also Talentsuche, Führungskräftebetreuung und Mitarbeiterentwicklung. Ich habe dann gedacht, ich probiere es einfach mal.
Es war die richtige Entscheidung für Sie als Volljuristin, Personalprofi und selbstständige Coach. Jetzt sind Sie Leiterin Zentrale Verwaltung beim BKA…
Albrecht Erst einmal ging ich durch einen langen Auswahlprozess. Auf dieser Ebene wird auch das Bundesinnenministerium eingebunden – und natürlich gehört auch eine Sicherheitsüberprüfung dazu. Schließlich kam tatsächlich der Anruf von Präsident Holger Münch, dass sich das BKA für mich entschieden hat.
Persönliche Integrität ist entscheidend
Wurde in diesem Prozess neben Ihrer persönlichen Integrität auch Ihre Führungskraftqualifikation geprüft?
Albrecht Das Verfahren war recht aufwendig. Neben einem Interviewanteil gehörten etwa auch ein Rollenspiel, eine Fallstudie und eine umfangreiche Eignungsdiagnostik dazu. Die Kommission, die letztendlich entschieden hat, setzte sich aus hochrangigen Mitarbeitenden aus dem Bundesinnenministerium, dem Bundeskriminalamt und der Personalvertretung zusammen. Das ist tatsächlich ein bisschen anders als in der freien Wirtschaft, wo man häufig nur mit der Führungskraft zusammensitzt, die entscheidet.
Sie waren während der Bewerbungsphase im Job, hatten außerdem Ihre Arbeit als selbstständige Beraterin, haben gearbeitet und gewartet. Aber bei den meisten Bewerbern heute ist geduldiges Ausharren nicht mehr in…
Albrecht Die Dauer des Bewerbungsprozesses im Bundeskriminalamt war tatsächlich eines der ersten Themen, die ich auf dem Schreibtisch hatte, als ich ins BKA gekommen bin. Bis 2026 benötigen wir 60 Prozent neue Mitarbeitende und Führungskräfte. Die Dauer des Gewinnungsprozesses ist daher ein zentraler Hebel. Wir haben alle Flaschenhälse angeschaut, die es in unserem Bewerbungsprozess zu bearbeiten gibt. Alle Player hatten großes Interesse daran, die Kolleginnen und Kollegen früher an Bord zu haben. Wir haben daher zahlreiche Schnittstellen beseitigt und Prozessschritte herausgenommen. So konnten wir den neuen Personalgewinnungsprozess schon 2019 in der Organisation implementieren.
Um wie viele Tage oder Monate konnten Sie das Auswahlverfahren verkürzen?
Albrecht Bei unseren Kriminalkommissaren zog sich der Auswahlprozess mit seinen verschiedenen Teilschritten früher über mehrere Monate. Jetzt benötigen wir zwei Tage, an dem alle Auswahlstationen gebündelt stattfinden. Hierfür haben wir mit dem Erbacher Hof in Mainz ein Auswahlzentrum geschaffen. Dort finden der Sporttest und die Auswahlgespräche statt, die psychologische Eignungsdiagnostik absolvieren die Bewerbenden vorab online. Die Bewerber und Bewerberinnen, die alle Auswahlschritte bestehen, erhalten nach den zwei Tagen eine vorbehaltliche Einstellungszusage. Was sich immer anschließt an unsere Auswahlverfahren, das ist die Sicherheitsüberprüfung, die dann noch mal einige Zeit in Anspruch nehmen kann.
Haben die Kandidaten für einen BKA-Job dafür Verständnis?
Albrecht Ja, auch weil wir unsere Kommunikation bewerberfreundlich gestalten. Die Bewerberinnen und Bewerber stehen permanent im Austausch mit uns. Außerdem formulieren wir unsere Ausschreibungstexte ansprechend und überdenken kontinuierlich, wie und wo wir die Talente gewinnen, die wir wirklich benötigen.
Neues Berufsbild Analyst*in
Sie versuchen also, dort um Auszubildende, Experten und Führungskräfte zu werben, wo die jeweilige Zielgruppe ohnehin ihre Zeit verbringt.
Albrecht Wir haben parallel zur Prozessbetrachtung eine Gewinnungsstrategie für die jeweiligen Zielgruppen entwickelt. Wir bilden Kriminalkommissare und ‑kommissarinnen, die meist nach dem Abitur zu uns kommen, an unserer Hochschule des Bundes aus. Wer schon einen Bachelorabschluss mitbringt, kann das Studium dort verkürzen. Neben Kriminalbeamtinnen und Kriminalbeamten bietet das BKA aber zahlreichen anderen Berufsgruppen eine Beschäftigungsmöglichkeit. So stellen wir neben Volljuristen beispielsweise auch Wirtschaftswissenschaftler und IT-Spezialisten ein. Ende Januar hatten wir in Berlin unseren ersten IT-Recruiting-Day, um gezielt IT-Spezialisten anzusprechen, über einen Job im BKA zu informieren und auch ganz konkrete Stellenangebote zu unterbreiten. Wir konnten an diesem Tag zahlreiche Bewerbungsgespräche führen und fast 50 vorbehaltliche Einstellungszusagen auf 80 angebotene Vakanzen geben. Im gehobenen Dienst haben wir zudem ein neues Berufsbild geschaffen: Analysten und Analystinnen. Sie arbeiten in gemischten Teams mit den Kriminalbeamten zusammen. Der Mix macht’s.
Ist das BKA ein Hort von Akademikerinnen? Oder haben auch junge Menschen ohne Abitur und Studium eine Chance, bei der Verbrechensbekämpfung mitzuwirken?
Albrecht Im BKA gibt es über 70 Berufsgruppen – vom klassischen Kriminalbeamten, der Akademikerin mit Doktortitel bis zum Auszubildenden. Gerade bei den Auszubildenden haben wird das Spektrum deutlich erweitert und die Zahl erhöht, etwa im Bereich Bürokommunikation, aber insbesondere auch in unseren IT-Berufen. Wir bilden Fachinformatiker, Fachkräfte für Anwendungs- und Systemintegration, Bibliothekare und auch Fotografen aus – und wir können sie später übernehmen. Es ist also nicht nur das kriminalistische Know-how, es sind viele diverse Kompetenzen, die zum Gelingen der Aufgaben im BKA beitragen.
Wer Kommissarin werden will, bewirbt sich bei Ihnen, aber Absolventen in Mangelberufen können sich die Rosinen auf dem Arbeitsmarkt rauspicken.
Albrecht Bei den Kriminalkommissaren und auch bei unseren Volljuristinnen haben wir tatsächlich keine Probleme, unsere Bewerberzahlen und dann auch die Gewinnungsziele zu erreichen. Aber ob wir als Behörde, als Konzerne oder Kleinunternehmen unterwegs sind: IT-Fachkräfte suchen gerade alle. Dennoch haben wir auch einiges zu bieten – nämlich einen spannenden, sinnstiftenden und gleichzeitig sicheren Job. Und wir können auch bestimmte Gewinnungs- und Bindungsprämien zahlen. Daher sind wir hier, was die Werbung angeht, auf unterschiedlichen Plattformen aktiv – auf Online-Jobbörsen, in ganz klassischen Social-Media-Netzwerken und auf Messen. In Wiesbaden funktioniert auch Mund-zu-Mund-Propaganda. Das Bundeskriminalamt ist einer der größten Arbeitgeber im Raum Mainz / Wiesbaden. Wir haben Kinder von Mitarbeitenden, Nachbarskinder von Mitarbeitenden, die nach einem Praktikum oder dem Girls‘ Day bei uns anfangen. Es gibt Mitarbeiterfamilien, die über mehrere Generationen im Bundeskriminalamt tätig sind.
Kommen auch die begehrten Spezialisten während des Einstellungsverfahrens nicht um die Vorbehaltsphase herum?
Albrecht Wegen unserer sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten können und wollen wir keine Abstriche machen. Die Sicherheitsüberprüfung gibt es daher für alle. Die sportlichen Tests durchlaufen nur die Kriminalbeamten, und die medizinische Einstellungsuntersuchung ist für die Verbeamtung notwendig. Ich empfehle jedem, der sich bei uns bewerben will, auf unser Karriereportal zu schauen. Dort geben wir ganz klare Tipps. Für Kommissarsanwärter werden beispielsweise die Sportübungen in Videos gezeigt, man kann sich so darauf vorbereiten. Mit freien Testanbietern arbeiten wir nicht zusammen, die setzen oft andere Schwerpunkte, die bei uns im Auswahlverfahren gar keine Rolle spielen.
Sind Ihnen schon Unterwanderungsversuche untergekommen? Von rechts, weil die 68er-Linken den Gang durch die Institutionen aufgegeben haben? Können Demokratiefeinde durch das Einstellungsverfahren gelangen?
Albrecht Ein klares Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist unabdingbare Voraussetzung für alle, die beim BKA arbeiten. Bei uns durchlaufen daher alle Kandidatinnen und Kandidaten zum einen eine Sicherheitsüberprüfung – und zwar nicht nur bei der Einstellung. Während des Berufslebens wird diese regelmäßig wiederholt. Zum anderen haben wir in unseren Auswahlverfahren Wertefragen aufgenommen, die für den Bewerbenden nicht sofort als solche zu erkennen sind. In den Antworten können wir aber eine gewisse Haltung und eine Einstellung zu Themen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung oder zu Diversität erkennen.
Auf das Grundgesetz vereidigt
Wie werden die Führungskräfte einbezogen in dieses Wertethema?
Albrecht Führung und Werte sind ein zentrales Thema im BKA. So haben wir uns in den vergangenen Jahren intensiv mit unserem Führungsverständnis auseinandergesetzt. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist der erste Punkt, hinter den wir uns mit allen Führungskräften im BKA versammeln. Außerdem haben wir mit dem Fraunhofer-Institut eine Studie zum Thema Werte aufgelegt, an der sich die gesamte Belegschaft beteiligen kann. Parallel erstellen wir derzeit eine Langfriststudie, mit der wir unsere Kriminalkommissarsanwärter und ‑anwärterinnen über die komplette Ausbildung und ins Berufsleben begleiten, um zu schauen, wie sich eine Wertehaltung verändert: vom Einstieg in einer Behörde über die Dauer der Ausbildung bis in die Zeit, in der man in der operativen Abteilung angekommen ist. Wir haben außerdem einen Wertebeauftragten, und es ist die klare Erwartungshaltung, dass die Führungskräfte den Wertekanon vorleben, den wir uns selbst geben. Wir sind alle auf das Grundgesetz vereidigt und leben eine Null-Toleranz-Politik – auch bei sogenannten Scherzen über Minderheiten oder sexistischen Bemerkungen. Es zählt die Bewertung des Empfängers, nicht die des Adressaten. Und: Auf Dienstpflichtverletzungen folgen Disziplinarmaßnahmen.
Wie erfahren Sie, dass einer sich nicht an der demokratischen BKA-Haltung orientiert?
Albrecht Keiner ist allein unterwegs, jeder hat ein Kollegium und ein Team sowie eine Führungskraft oder mehrere Führungskräfte, je nachdem wo er oder sie in der Hierarchie steht. Unser Wertebeauftragter sensibilisiert fortlaufend. Ein Verstoß gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung muss ebenso angesprochen werden wie ein Verstoß gegen die Arbeitszeitordnung. Das ist kein Anschwärzen. Vielmehr hat ein Beamter die Pflicht, den Vorfall zu thematisieren. Sonst begeht er selbst eine Pflichtverletzung. Wir sehen uns wirklich alle in der Verantwortung, nicht nur wir als Führungskräfte, sondern auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Reicht der lange Arm des Arbeitgebers BKA bis ins Privatleben?
Albrecht Auch in meiner Freizeit bin ich BKA-Mitarbeiter oder BKA-Mitarbeiterin. Diesen Punkt erwähne ich immer in meiner Rede, wenn wir unsere Kriminalkommissarsanwärter und ‑anwärterinnen vereidigen und ihnen die Ernennungsurkunde übergeben. Die Verantwortung hört nicht auf, wenn ich hier rausgehe. BKA-Beamte müssen sich der Auswirkung ihres Tuns bewusst sein – auf sich selbst, auf die Kollegen und auch auf das Ansehen des Bundeskriminalamts. Darauf achten wir.
Stößt dieser etwas strenge Anspruch an den 24‑Stunden-BKA-Menschen auf Widerstand?
Albrecht Die Mitarbeitenden im BKA haben eine hohe Identifikation mit dem Amt und ihrer Aufgabe. Dies ist uns sehr wichtig. Wir haben daher in den vergangenen Jahren in unserer Personalentwicklung ganz stark aufs Onboarding gesetzt, um diese Kultur zu vermitteln. In BKA-weiten Einführungslehrgängen können sich Neulinge vernetzen, lernen die notwendige Sensibilität. Monatlich heißen wir die Neuen digital willkommen. Abteilungsspezifisch wird Aus- und Fortbildung organisiert. Die noch junge Abteilung Cybercrime etwa nimmt die Kolleginnen und Kollegen in einem mehrwöchigen Onboarding-Programm fachlich und persönlich an Bord. Die Psychologen, ITler und Wissenschaftler, die zu uns kommen, lernen, wie sie im BKA einen Bericht schreiben oder was eine Erlassbeantwortung vom Bundesministerium des Inneren ist. Wir passen auf, dass bei den vielen Mitarbeitenden von außen nicht ganze Teams aus Neuen bestehen – eine Frage der Organisationsentwicklung: Wie stricke ich Sachgebiete? Wie stricke ich Referate? Wann baue ich auf? Wann mache ich eine Zellteilung und aus einem Referat zwei?
Persönlichkeitsbildung hört nie auf
Arbeiten BKA-Mitarbeitende kontinuierlich an der Entwicklung ihrer Qualifikationen und ihrer Persönlichkeit?
Albrecht Persönlichkeitsentwicklung hört nie auf, und Persönlichkeitsbildung hört ebenfalls nie auf. Die Fragen sind: Wie viel mache ich proaktiv selbst? Und wie viel wird vom Arbeitgeber an mich herangetragen? Das Zusammenspiel aus Hol- und Bringschuld verpflichtet den Arbeitgeber, seinen Anteil zur Personalentwicklung und zur Führungskräfteentwicklung beizutragen. Mitarbeitende wiederum sagen ihren Führungskräften, wo sie bei sich ein Defizit sehen oder ob sie sich in einem anderen Bereich ausprobieren wollen. Immerhin hat sich die Arbeitswelt massiv verändert und wird sich weiter wandeln. Wir arbeiten nicht nur mit anderen Medien, sondern wir arbeiten tatsächlich anders.
Wird die gewohnte Präsenzkultur wieder Einzug halten in den Kriminaler-Amtsstuben des Bundes?
Albrecht Die Homeoffice-Quote ist für eine operativ arbeitende Behörde relativ hoch, denn viele Aufgaben werden bei uns am Schreibtisch erledigt. Wir haben eine neue Dienstvereinbarung zu mobilem Arbeiten abgeschlossen mit der Flexibilisierung von Tätigkeitszeit und Tätigkeitsort. Wir unterstützen Führungskräfte wie Mitarbeitende beim digitalen Umbau und bei der Arbeit im „neuen Normal“, wie es jetzt heißt. 2019 sind wir mit Führungsdialogen an unseren drei Standorten Wiesbaden, Berlin und Meckenheim gestartet. Unsere Amtsleitung war jedes Mal dabei, wenn die insgesamt rund 350 Führungskräfte diskutiert haben, was wir verändern, was wir beibehalten, was wir abschaffen wollen. Die Personalvertretung war involviert. Was das Thema Homeoffice angeht, überlassen wir es den Führungskräften, Regelungen für die einzelnen Referate zu treffen. Denn unsere Aufgaben sind sehr heterogen. Wer im Kriminaltechnischen Institut im Labor arbeitet, ist im Labor, und das ist nun mal nicht zu Hause. Auch die Paten neuer Mitarbeiter sitzen nicht am Küchentisch zu Hause, sondern am Schreibtisch im Büro. Ebenso ist der Kriminaldauerdienst oder sind unsere Personenschützer vor Ort und nicht im Homeoffice.
Zerfasert das neue Arbeiten, wenn Teams und Referate so unabhängig agieren?
Albrecht Nein. Wir haben lange diskutiert und überlegt, was der richtige Weg für uns ist – das ist übrigens häufig so: Wir diskutieren offen und ausführlich, bevor wir etwas beschließen. Aber wenn wir es beschließen, stehen wir dahinter. Das ist besser als ein schneller Beschluss, gegen den Renaissance-Kräfte dann im Anschluss arbeiten.
Können Sie ein Beispiel beschreiben, wo das geklappt hat?
Albrecht Ja, bei unserer Führungskräfteentwicklungsstrategie. Wir hatten früher im Bundeskriminalamt vor allem klassisch Vollzugsbeamte oder Volljuristen als Führungskräfte. Dann sind wir schnell gewachsen auf mittlerweile zwölf Abteilungen und haben immer mehr Führungskräfte in Spezialfunktionen von außen bekommen. Daher wollten wir nicht nur ein einheitliches Führungsverständnis, sondern auch eine einheitliche Führungskräftequalifizierung installieren – und an die bestehende Führungsausbildung für Kriminalbeamte angleichen. Denn die übrigen Führungskräfte hatten bis auf das, was sie von außen mitgebracht haben, nur wenig Angebote. Jetzt haben wir ein Führungskräfteentwicklungsprogramm gestrickt, das dieses Jahr starten wird. Alle Führungskräfte – von den Bestandsführungskräften bis zu den Nachwuchskräften – werden das Programm innerhalb von zwei Jahren durchlaufen.
Veränderungen sind keine Frage des Alters
Da kann ich mich nicht drücken? Auch nicht, wenn ich schon 55 Jahre alt und 20 Jahre Führungskraft bin?
Albrecht Es ist keine Altersfrage, ob ich mich mit Veränderungen beschäftige oder nicht. Das entspricht nicht meinem Menschenbild. Wir haben junge Kollegen und Kolleginnen, die manchmal schon erstaunliche Beharrungskräfte haben. Und einige Ältere sind sehr beweglich. Man muss den Leuten erklären, wo die Reise hingeht und warum wir das machen. Die Menschen kommen viel früher in Führungsverantwortung, als das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. Einfach durch die demografische Entwicklung und Fluktuation und unser Wachstum im BKA. Da ist klar, dass man solch ein Programm braucht.
Bei diesen Prozessen hilft Ihnen sicher Ihre Ausbildung zur Systemischen Coach. Haben Sie das Coaching für Führungskräfte beim BKA implementiert?
Albrecht Als ich ins Bundeskriminalamt kam, war das Coaching nicht besonders positiv besetzt. Denn nur die schwierigen Fälle haben ein Coaching erhalten. Das widerspricht meiner Grundhaltung diametral: Die positiven Fälle müssen ein Coaching bekommen. Jetzt ist Coaching ein Teil unserer Führungskräfteentwicklungsstrategie. Ab einer bestimmten Führungsebene wird ein Coaching zur Verfügung gestellt – und zwar nicht optional. Ab Führungsebene A16, also ab Gruppenleitungsebene, werden die Kolleginnen und Kollegen in den ersten hundert Tagen eine externe Coaching-Begleitung bekommen. Man hat zwar eine Führungskraft und man hat auch Kolleginnen und Kollegen, man hat Mitarbeitende, man hat vielleicht auch noch einen Partner zu Hause, aber man hat niemanden, mit dem man neutral auf die Themen und Situationen schauen kann. Man hat immer irgendeine Abhängigkeit zum Chef, zu den Kollegen, es gibt vielleicht auch Neider, die vielleicht nicht wollten, dass man die Stelle bekommt. Wir haben mittlerweile sehr viele Anfragen für das Coaching. Wir wollen bald zusätzlich eine Coaching-Sprechstunde einrichten, in die Führungskräfte und auch Mitarbeitende gehen können und ihre Themen einbringen.
Wie werden die Coaches für das BKA ausgewählt?
Albrecht Wir werden einen externen Coachingpool aufbauen. Hier muss man sich bewerben, einen Auswahlprozess durchlaufen und wird von uns ausgewählt. Die neutralen Coaches müssen ein Vertrauensverhältnis aufbauen können. Es muss verlässlich sein, dass nichts rausgeht aus dem Zweierteam – nicht zu einer Führungskraft oder zu den Kollegen. Dann bekommt Coaching einen guten Ruf.
Zur Personalentwicklung und zum positiven Coaching gehört auch die Beurteilung. Welche Pläne verfolgen Sie für das Bundeskriminalamt?
Albrecht Wir erproben gerade das 360‑Grad-Feedback. Ein Pilotprojekt mit 20 Führungskräften aus allen Ebenen und aus allen Bereichen steckt in der Auswertung. Die warten wir ab, aber in Gesprächen haben Teilnehmende schon signalisiert, dass sie das Feedback von Mitarbeitenden, Kollegen und Vorgesetzten gerne fortführen würden. Die Entscheidung ist aber auch eine Budgetfrage.
Ihr Personalmanagement forciert den Wandel. Strengt das die Menschen im BKA an?
Albrecht Es gab immer schon sicherheitspolitische Veränderungen, auf die sich das BKA in kürzester Zeit einstellen musste. Die sich wandelnde Sicherheitslage erfordert rasches Agieren und eine ständige Anpassung – und das kann die Belegschaft.
Sicherheitsbehörden ziehen an einem Strang
Und doch sind Kriminelle und Terroristen oft ein Stück voraus. Ist das frustrierend?
Albrecht Auf unserer Herbsttagung lautete das Thema vergangenes Jahr „Wie halten wir Schritt? – Polizeiliche Strategien für die Zukunft“. Unser Ziel ist es, eine Nase vorn zu sein. Das hat mit fachlichen Kompetenzen zu tun. Kriminalität findet heute analog und digital statt, deutschlandweit und international. Wir arbeiten mit anderen Sicherheitsbehörden im In- und Ausland zusammen.
Das BKA hat die Charta der Vielfalt unterschrieben. Wo kann ich mich hier als Mensch mit Behinderung bewerben?
Albrecht Eigentlich überall – sofern es die Aufgabe zulässt. In operativen Bereichen gibt es natürlich bestimmte körperliche und psychische Voraussetzungen, die gegeben sein müssen. Und natürlich hat Diversity mehr als eine Dimension.
Führt diese ganze Diversity-Schiene dazu, dass Frauen wieder hinten runterfallen, weil sie nun mit Menschen anderer Ethnien, aus der LGBTQ-Community und Menschen mit Behinderung um Aufmerksamkeit buhlen müssen?
Albrecht Wir haben beides im Blick, das Gesamtthema Diversität und das Thema Frauen. Als Behörde sind wir aufgefordert, konkrete Ziele zu benennen, wie wir die Parität in Führungsfunktionen erreichen. Mentoring für Frauen hat bei uns ungebrochen jedes Jahr einen großen Zulauf. Wir haben auch sehr gute Einstellungszahlen bei Frauen, sowohl im gehobenen Dienst als auch im höheren Dienst. Bei der Führungsverantwortung und den obersten Führungsebenen müssen wir allerdings eine Schippe drauflegen. Es gibt eine Arbeitsgruppe Gleichstellung, die sich mit den Rahmenbedingungen beschäftigt. Unser Präsident sagt immer: Vielfalt ist das Gegenteil von Einfalt. Ich denke, das ist ein ganz gutes Motto.
Sie meinen engagiert und optimistisch, dass Diversity im BKA gelebt wird?
Albrecht Absolut. Das Vielfältige ist Teil unserer Arbeit – und unseres Erfolgs. Wir sind als Bundeskriminalamt beispielsweise auf der ganzen Welt unterwegs, wir haben überall Verbindungsbeamte. Wir haben dieses Jahr Jubiläum, also 40 Jahre Verbindungsbeamte im Bundeskriminalamt, und wir arbeiten mit Europol und Interpol zusammen.
Vielfältig ist auch Ihr Job. Wie viel Prozent zentrale Verwaltung und wie viel Prozent Personal stecken darin?
Albrecht Ich habe insgesamt fünf Gruppen in meiner Abteilung, und zwei davon sind klassische Personalgruppen. Das ist schon ein großer Anteil der täglichen Arbeit. Wir haben drei Bereiche ganz neu ausgeprägt: Personalcontrolling, Personalentwicklung, Führungskräfteentwicklung – die gab es vorher nicht. Die rechtlichen Themen, Haushalt und Beschaffung, Liegenschaftsmanagement, unsere Bauprojekte an allen Standorten erfüllen Unterstützungsaufgaben für den ganzen Bereich Personal.
Dazu gehören auch externe Spezialisten. Sind die Ausschreibungen anders als in der freien Wirtschaft?
Albrecht Mit Externen gibt es häufig Rahmenverträge. Für unsere Dienstleister gelten natürlich auch besondere Sicherheitsstandards. Das gilt für Reinigungskräfte, für Handwerksfirmen und für Spezialisten in der IT. Denn die Externen bewegen sich im Haus, da muss Vertrauen herrschen.
Das hört sich kaum nach einem Unterschied zwischen Beamten und Dienstleistern an.
Albrecht Man muss sich immer auf Augenhöhe begegnen. Mit einem offenen Menschenbild, einer transparenten Erwartungshaltung und einer klaren Zielklärung erhält man die Arbeitsergebnisse, die man haben will. Da ist es total egal, ob das Gegenüber ein Beamter ist oder ein Tarifbeschäftigter oder ein externer Dienstleister. In erster Linie sitzt mir ein Mensch gegenüber.
Frau Albrecht, vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führten Ralf Steuer und Ruth Lemmer.
Das Interview erschien zuerst in unserem Fachmagazin PERSONALFÜHRUNG 06/2023.
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