Zwei Systeme – eine Organisation
Warum hybride Organisationsmodelle (nicht) die Antwort auf ambidextre Fragen sind
In Zeiten des Wandels und der Megatrends Digitalisierung und Flexibilisierung stehen Unternehmen vor der Herausforderung, sich kontinuierlich anzupassen. Diese Entwicklungen erzeugen Spannungen auf den Ebenen Individuum, Team und Organisation. Kann eine hybride Organisationsstruktur eine Antwort auf diese Anforderungen sein?
Das Problem
Die Notwendigkeit für hybride Organisationsmodelle resultiert hauptsächlich aus den gegensätzlichen Anforderungen an die Organisationen (Ambidextrie). Sie sollen sowohl Stabilität und Effizienz in standardisierten Prozessen gewährleisten als auch kontinuierlich innovative Durchbrüche fördern. Während klassische Ansätze wie die Funktional- oder Matrixorganisation oft an Komplexität und Silodenken scheitern, bieten im agilen Kontext Kreismodelle oder Spotify-Ansätze alternative Lösungen. Doch reicht das aus?
Die Wissenschaft
Ein vielversprechender Ansatz zur Lösung dieser ambidextren Herausforderungen ist das von dem international führenden Vordenker für Leadership und Change-Management, John P. Kotter, vorgeschlagene duale Betriebssystem. Wie der Name „dual“ andeutet, kombiniert diese Organisationsstruktur zwei parallel laufende Betriebssysteme: eine klassische hierarchische Organisationsstruktur (Management Driven Hierarchy) und ein agiles Netzwerk von bestehenden Mitarbeitenden (Accelerator Network). Diese Kombination soll die Stabilität und Effizienz des traditionellen Managements mit der Agilität und Innovationskraft eines Netzwerks verbinden (Kotter 2014).
Die Praxis
Kotters Modell stützt sich auf fünf Prinzipien, die für eine erfolgreiche Implementierung in der Praxis entscheidend sind und sich auch mit unseren Erfahrungen bei HRpepper decken:
- Für eine erfolgreiche Umsetzung des Ansatzes „Zwei Systeme – eine Organisation“ braucht es nicht nur Veränderungen auf struktureller Ebene, sondern auch auf Führungs- und Kulturebene (Kotter 2014; Stelzl et al. 2020). Mit Blick auf die Dimension Führung ist entscheidend, dass die Führungskräfte Orientierung geben und ihre Teams empowern, um so die Autonomie zu fördern (Schindler et al. 2023).
- Eine gut gesteuerte strukturelle Autonomie des zweiten Systems ist dabei entscheidend, um Zielkonflikte zu minimieren und Synergieeffekte zu maximieren.
- Durch die Kombination aus struktureller Autonomie und gesteigerter intrinsischer Motivation konnten Teams Ergebnisse erzielen, die im Regelbetrieb in der doppelten Zeit nicht möglich gewesen wären.
- Multiplikatoren aus den strategischen Initiativen helfen, die Neuentwicklungen in das bestehende System zu integrieren und weiterzuentwickeln, was zu einem kollektiven Veränderungscharakter führt.
- Folglich lassen sich in der Praxis Lerneffekte innerhalb der Organisation beobachten, durch die die Mitarbeitenden ihre „alten“ Jobs besser bewältigen und gleichzeitig zur Innovationsfähigkeit des Unternehmens beitragen. Durch die kontinuierliche Anwendung hybrider Modelle entstehen in der Organisation mehr Empowerment und Mut für Innovation und Change (Stelzl et al. 2020). Dieser Mut wird vor allem durch den Wunsch, etwas verändern zu wollen und nicht zu müssen, angetrieben.
Ein hybrides Organisationsmodell kann einen entscheidenden Beitrag zur Weiterentwicklung der Organisation im Umgang mit ambidextren Anforderungen leisten, wenn der „hybride Gedanke“ von klaren Rahmenbedingungen (Strategie und Steuerung) sowie einer unterstützenden Führung und Kultur getragen wird. Diese Faktoren tragen wesentlich zum Grad der Innovationsfähigkeit und Agilität sowie zum langfristigen Erfolg hybrider Organisationen bei. Insgesamt zeigt sich, dass hybride Organisationsmodelle nicht nur eine Antwort auf ambidextre Fragen sein können, sondern auch das Potenzial haben, Unternehmen zukunftssicher und wettbewerbsfähig zu machen. Entscheidend ist jedoch, dass der hybride Gedanke konsequent und ganzheitlich in die Organisation integriert wird.
Sherif Abed, Principal Consultant bei der Transformationsberatung HRpepper, Berlin
Laura Wachowitz, Werkstudentin bei der Transformationsberatung, HRpepper, Berlin
Literatur
Kotter, J. P. (2014): Accelerate: Building strategic agility for a faster-moving world, Boston, MA
Schindler, J. / Kallmuenzer, A. / Valeri, M. (2023): Entrepreneurial culture and disruptive innovation in established firms – how to handle ambidexterity, in: Business Process Management Journal, 30 (2), 366-387
Stelzl, K. / Röglinger, M. / Wyrtki, K. (2020): Building an ambidextrous organization: a maturity model for organizational ambidexterity, in: Business Research, 13 (3), 1203-1230
Der Fachbeitrag ist zuerst erschienen in unserem Fachmagazin PERSONALFÜHRUNG Ausgabe 09/2024
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